Rebel-Management-Training denkt nach!

Nadine Rebel

Taten statt Worte

Integration und Inklusion - persönliche Gedanken

„Nicht große Worte bestimmen das Leben, sondern kleine Taten.“ - Freigericht, Ansgar Simon

Inklusion auf dem Papier ist eine gute Sache. Inklusion im Alltag zeigt ein anderes Bild. Oftmals hat diese kein Gesicht und ihre Notwendigkeit wird nicht wahrgenommen. Eine subjektive Betrachtung und eine ebenso subjektive Meinung.

 

Der Fokus ändert sich

Erst wenn man selbst betroffen ist, kann man sich in die Lage anderer Menschen hineinversetzen. Jeder Versuch, dies im Vorfeld zu tun, ist rühmlich, scheitert aber meist, weil Vorstellen nicht mit Erleben gleichgesetzt werden kann. Dies ist eine Tatsache, die entschuldigend für das Verhalten und die Mankos im Umgang mit Menschen, die ein bisschen „anders“ sind, vorgebracht werden kann.

 

Inklusion

Folgt man den Erklärungen des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales, zeigt sich, dass der Begriff „Inklusion“ hier nur auf Menschen mit einer Behinderung angewendet wird. Inklusion wird heute oft auch im Zusammenhang mit Menschen aller Besonderheiten verwendet, die nicht in das „übliche“ Schema passen und besondere Bedürfnisse haben, wenn es um gesellschaftliche Teilhabe, Respekt und Anerkennung geht.

 

Das STMAS schreibt: 


„Inklusion ist mehr als Integration. Die zentrale Idee der Inklusion ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. Ob beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, in der Schule, auf Veranstaltungen, in Vereinen oder im Kreis der Familie: Jeder wird von der Gesellschaft so akzeptiert, wie er ist, und kann ein Leben ohne Barrieren führen. Inklusion heißt, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht mehr an vorhandene Strukturen anpassen müssen. Vielmehr ist die Gesellschaft aufgerufen, Strukturen zu schaffen, die es jedem Menschen – auch den Menschen mit Behinderung – ermöglichen, von Anfang an ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. Integration erfordert, dass sich der Mensch mit Behinderung weitgehend den vorhandenen Gegebenheiten anpasst. Inklusion geht weiter: Menschen mit Behinderung können von Anfang an am sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben. Und zwar: Selbstbestimmt, gleichberechtigt und uneingeschränkt.“

 

Inklusion mehr als Integration

Ich bleibe am Begriff „zentrale Idee“ hängen. Der Alltag zeigt, dass dieser Begriff das Leben exakt beschreibt: In vielen Fällen ist es leider nicht mehr als eine zentrale Idee.

 

Obwohl das Thema „Inklusion“ alles andere als neu ist, sind viele Menschen von Selbstbestimmung weit entfernt, daran kann auch ein Gesetz nichts ändern, welches den Menschen die Selbstbestimmung auf dem Papier zusichert.

Vielmehr stellt sich die Frage, ob nicht die Notwendigkeit eines Gesetzes schon ein Widerspruch zur souveränen Selbstbestimmung darstellt. Wenn ich erst ein Gesetz benötige, welches mir meine Rechte zusichert, dann haben wir in der Gesellschaft alle noch viel zu tun.

 

Allerdings entspricht dies dem normalen Verlauf des soziologisch untersuchten gesellschaftlichen Wandels. Erst kommt der Normenwandel (Gesetze), danach folgt (hoffentlich) der Wertewandel (Einstellung der Menschen).

 

Naive Illusionen

Manche Behinderungen verhindern eine Selbstbestimmung. Ein Leben ohne Barrieren ist unmöglich. Dazu muss man noch nicht einmal eine Behinderung haben. Jeder von uns wurde schon mit Barrieren konfrontiert. Einige konnte man selbst überwinden, anderen konnten gemeinsam überwunden werden, einige bestehen fort (wenn auch nur in den Gedanken und Köpfen, aber diese bestimmen das Handeln und die Einstellung vieler Menschen).

 

Ein Mensch, der nicht die Kraft hat, beispielsweise seinen Rollstuhl selbst zu bewegen, ist in seiner Selbstbestimmtheit eingeschränkt. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Er benötigt Hilfe. Er benötigt andere Menschen, die ihn sehen, die sich Zeit nehmen, die sich mit ihm auseinandersetzen, die in der Hilfe keine Hilfe, sondern einen Teil einer Teamarbeit sehen.

 

Besondere Aufmerksamkeit widerspricht der Normalität

Überall, wo auf besondere Umstände explizit hingewiesen werden muss, wird der Beweis erbracht, dass weder Integration noch Inklusion abgeschlossen sind.

 

Meiner Meinung nach betrifft dies alle Bereiche. Wer auf seine Sexualität und die besonderen Begleiterscheinungen des eigenen Selbstbildes hinweisen muss, damit er gesehen, akzeptiert und integriert oder inkludiert wird oder werden kann, der stellt damit fest, dass er/sie/es etwas Besonderes ist.

 

Wer auf die Besonderheit seines Glaubens hinweisen muss, damit er weiter glauben darf und kann, der zeigt, dass wir alle nicht frei in unserer Religion sind.

 

Wer auf eine Gehbehinderung und die damit verbundenen Hürden hinweisen muss, macht deutlich, dass Hürden existieren.

 

Wer anderen Menschen einen Vorwurf macht, weil diese ihn/sie/es in ihrer Besonderheit nicht sofort erkennen, statt einen freundlichen Hinweis zu geben, wie es besser funktionieren könnte, der überhöht sich und erniedrigt die, die in den Augen der zu integrierenden Person einen Fehler gemacht haben.

 

Wer von der Mehrheit der Gesellschaft immanent oder explizit verlangt, dass diese sich ändern möge, damit es der eigenen Persönlichkeit gut geht, integriert sich nicht und inkludiert sich nicht.

 

Die Feststellung der Besonderheit führt die Idee der Inklusion teilweise ad absurdum.

Doch sie ist notwendig, vor allem, denn die Gesellschaft beginnt erst, den Weg gemeinsam zu gehen.

 

Inklusion und Integration sind keine Einbahnstraßen

Gemeinsam bedeutet, dass man sich gemein macht, sich als Teil des Ganzen sieht, nicht besser, nicht schlechter und nicht besonderer als jeder andere Teil des Ganzen.

 

Wer ständig eine besondere Behandlung verlangt, oftmals beleidigt reagiert, wenn er/sie/es nicht bekommt, was er/sie/es meint wollen zu dürfen, der macht sich selbst zur Diva.

Und der Umgang mit Diven mag spannend sein, normal ist er nicht und die anstrengende Komponente im Umgang mit Diven führt häufig auch dazu, dass man den längerfristigen Kontakt zu meiden beginnt, einfach nur, weil man selbst keine Kraftressourcen mehr übrighat.

 

Und so geht der Schuss aus der Glitzerkanone nach hinten los.

 

Beispiel Rollstuhl

Seit geraumer Zeit erfahren wir in der Familie selbst, was es im Alltag bedeutet, einen Rollstuhl zu schieben.

Und erst, wenn man selbst in der Situation steckt, stellt man fest, wie weit wir alle in unseren Taten von wahrhafter Inklusion entfernt sind.

 

Überall abgesenkte Bordsteinkanten? Fehlanzeige.

Aufzüge vorhanden, so dass man mit der betroffenen Person alles erreichen kann? Fehlanzeige

Barrierefreie Toiletten? Fehlanzeige.

Türen überall breit genug? Fehlanzeige.

Plätze in Restaurants, die eine Teilhabe von rollstuhlfahrenden Personen ermöglichen? Fehlanzeige.

 

Die Sensibilität im Umgang mit Menschen mit einer Behinderung wurde allerdings schon vor Jahren erhöht. Und das ist gut so.

Doch die Worte reichen nicht, es müssen Taten folgen.

 

Und wenn die baulichen Veränderungen nun einmal nicht überall möglich sind, so kommt es wieder auf den einzelnen Menschen an.

Menschen, die ihre Augen öffnen.

Menschen, die begreifen, dass jeder andere Mensch dazugehört.

Menschen, die einen nicht spüren lassen, dass der Mensch im Rollstuhl eine Belastung ist.

Menschen, die einfach fragen, ob sie sich einbringen können. Selbst wenn die Antwort dann „nein - Danke!“ lauten sollte.

 

Würde sollte keine Holschuld sein

Vielfach bekommt man den gut gemeinten Ratschlag zu hören, dass dies normal sei. Man dürfe nicht Hilfe erwarten, man müsse um Hilfe bitten.

Die Erwartungshaltung, dass jemand selbständig zur Seite rückt, wenn er/sie/es merkt, dass er einer anderen Person im Weg steht, wäre falsch.

Stimmt. Wenn ich irgendwo durch möchte, so sage ich: „Entschuldigung, kann ich bitte durch?“

 

Wieder kommt es auf das Gesamtbild an. Mal muss man um Hilfe bitten, mal erkennt eine andere Person selbst, dass sie im Weg steht und macht Platz.

 

Wer allerdings den ganzen Tag darauf angewiesen ist, zu betteln, dessen Würde bekommt einen Knacks.

Könnten Sie mit anpacken? - Bitte warten Sie einen Moment, bei uns dauert es länger.“ - „Stört der Rollstuhl hier?“ - „Tut mir leid, wir können nicht schneller.“ Usw.

 

Man gewöhnt sich daran. Woran ich mich nicht gewöhnen kann, ist der Ton, der Umgang und die Demütigungen, die in den meisten Fällen unbewusst erfolgen, was für mich die Sache noch schlimmer macht.

 

Immer wieder stelle ich fest, dass mit der Person im Rollstuhl gar nicht mehr gesprochen wird. Kommunikation findet mit der Person statt, die den Rollstuhl schiebt, denn nur diese befindet sich - im wahrsten Sinne des Wortes - auf Augenhöhe.

 

Die Person im Rollstuhl kann offensichtlich nicht (mehr) selbst gehen. Der Rückschluss, dass diese auch nicht mehr selbst hören und nicht mehr selbst denken und nicht mehr selbst Wünsche und Bedürfnisse äußern kann, ist falsch.

 

Die Kommunikation über den Kopf des Menschen mit Behinderung hinweg ist ein Widerspruch zur gewünschten Selbstbestimmung und zur angestrebten Normalität.

Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die Kommunikation wohlwollend oder abwertend ist.

„Stell sie doch einfach hier ab.“ - „Oh je, ihr geht es wohl nicht so gut.“ - „Kann ich ihr was bringen?“ - „Das ist aber schön, dass Du sie herbringst.“

Liebe Worte, die auch direkt an die Person gerichtet werden könnten, wenn man bereit ist, sich auf Augenhöhe zu begegnen, was in diesem Fall wortwörtlich bedeutet, sich zur betroffenen Person zu neigen, sich ihr zuzuwenden.

 

„Ist es für dich in Ordnung, wenn Du mit dem Rollstuhl hier stehst?“ - „Geht es dir nicht so gut?“ - „Kann ich dir was bringen?“ - „Schön, dass du da bist.“

 

Durch die Kommunikation über Dritte, über den Kopf der Person hinweg, macht man ihr immer und immer wieder deutlich, dass sie nicht dazugehört, dass es anstrengend ist, mit ihr umzugehen, dass man damit nur bedingt umgehen kann, dass sie einen Störfaktor darstellt.

Das beginnt bereits im Umgang mit Kindern, in der Kommunikation mit Menschen, von denen man erwartet, dass sie einen nicht verstehen. Statt zu versuchen, den direkten Draht aufzubauen, wendet man sich ohne Umweg direkt an die betreuenden Personen oder beginnt, lauter zu sprechen, bedient sich falscher Grammatik („Du gehen hier, okayyyy?“). Was soll das?

 

Inklusion, Integration und ein würdevoller Umgang miteinander sehen anders aus.

 

Vorauseilender Gehorsam

Dabei meinen es die meisten Menschen gut, wenn sie sich so verhalten. Sie sind sich unsicher, sie fürchten Fehler zu machen, sie wissen mittlerweile, dass diese sie unter Umständen teuer zu stehen kommen können. Und wo Gefahr besteht, dass man die Würde eines Menschen verletzt, wenn man ihn falsch anredet, geht man eben dazu über, gar nicht mehr mit dem Menschen zu reden.
 
Nun besteht die Gefahr, auf der anderen Seite vom Pferd herunterzufallen, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und die Person permanent wie ein rohes Ei zu behandeln.

 

Manche Personen scheinen darauf auch großen Wert zu legen, aber bestimmt nicht alle.

 

Ich denke, der Weg zur unverkrampften Inklusion aller Menschen ist noch lang. Ich bitte um Verständnis, wenn ich selbst viele Fehler gemacht habe und weiterhin machen werde. Dass ich mir hier Gedanken mache, bedeutet nicht, dass ich es besser kann. 
Persönlich denke ich allerdings, wenn ich aus jeder Situation etwas Besonderes machen muss und Menschen, die eigentlich ein Teil des Ganzen sein wollen, permanent gewollt oder ungewollt in den Mittelpunkt stelle, dränge ich damit in Konsequenz auch die anderen an den Rand.

 

Aber waren wir uns nicht schon einmal einig darüber, dass niemand an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden sollte, weil dort niemand stehen will?

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