Nadine Rebel
Gleichberechtigung und Emanzipation. Begriffe, die uns schon lange begleiten. Fernab von modern gewordenen Debatten und Ansichtsweisen, geht es heute um die Emanzipation der Angst als positiver Bestandteil eines Trainings. Was seltsam anmutet, schützt und hilft und hat mehr mit Gleichberechtigung zu tun, als man zunächst vermuten mag. Angst ist keine schlechte Emotion. Angst muss nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Angst hat die gleiche Daseinsberechtigung wie jede andere Emotion auch. Angst zu verdrängen, Angst nicht ernst zu nehmen, der Angst den Raum absprechen ist nicht nur unfair, sondern kann sogar fatale Folgen haben.
Die Definition von Emanzipation liest sich wie folgt:
Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit; Selbstständigkeit; Gleichstellung
Diesen Begriff für eine persönlichkeitsgebundende Emotion zu verwenden, mag neu sein, doch genau das ist, was wir im Training tun. Als Trainerin ist es mir wichtig, dass die teilnehmenden Personen ganzheitlich agieren. Körper und Geist, Muskeln und Gefühle, Anspannung und Entspannung.
Beim Training stellt sich mitunter Angst ein: Angst zu fallen, Angst den Halt zu verlieren, Angst, sich zu verletzten, Angst vor Schmerzen.
Wenn man von Angst als schlechtem Ratgeber spricht oder davon, dass Angst die Seele aufessen würde, so ist dies nur bedingt richtig.
Angst ist dann ein schlechter Ratgeber, der die Seele auffrisst, wenn man ihr keinen Raum lässt. Wenn man sie in den Hintergrund verfrachtet, wenn man sie nicht ernst nimmt, wenn man meint, sie hätte nichts zu sagen oder sie wäre dumm, dann geht man falsch mit der Angst um. Dann gesteht man ihr keinen gleichberechtigten Platz zu, dann muss sich die Angst emanzipieren, damit sie den Platz beanspruchen kann und darf, der ihr zusteht. Denn dann können wir die Angst als wichtigen Teampartner sehen und von ihr profitieren.
Gleichberechtigung gilt als Wesenskern der Menschenwürde. Die Würde eines Menschen bemisst sich daran, inwiefern er in der Lage ist, anderen Menschen Würde entgegenzubringen.
Da es auch heißt, man solle den Nächsten wie sich selbst lieben und damit vorausgesetzt wird, dass man sich selbst mit Würde und Liebe und in Wohlwollen begegnet, ist es wichtig, alle Bestandteile des eigenen Seins als gleichberechtigt anzusehen.
Dabei ist die Gleichberechtigung eine gewisse Art des Vertrauensvorschusses, die Würde mit der man sich und all seinen „Spinnereien“ zunächst vorurteilsfrei begegnet, um eventuell im zweiten Schritt festzustellen, dass diese Spinnereien unter Umständen eben doch nicht Raum einnehmen sollten und kein Anrecht auf Autonomie und Selbstbestimmung haben.
Wenn wir die Emotionen als „Täterinnen“ identifizieren können, die uns schaden, die uns nicht weiterbringen, die uns hemmen und kaputt machen, dann ist es Zeit, sich Gedanken über ein inner-gerichtliches Vorgehen zu machen. Aber eben erst dann, nicht schon als Vorverurteilung.
Es macht keinen Spaß, Angst zu haben. Angst stellt sich dann ein, wenn man etwas als Bedrohung empfindet und sich Sorgen macht. Dennoch gehört auch diese nicht sehr geliebte Emotion zu unseren Grundgefühlen. Sie kann, sollte und darf nicht einfach ignoriert werden.
Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Angst. Gemein ist allen diesen Gefühlsregungen, dass sie uns verunsichern.
Und das ist gut so! Wie im Buch „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann eindrucksvoll beschrieben, kommt es immer auf den Ausprägungsgrad der Angst an. Jeder Mensch hat Ängste und diese zu negieren, macht keinen Sinn
Wenn sich im Training Angst einstellt, so hat das Gründe! Ernstzunehmende Gründe, nachvollziehbare oder weniger nachvollziehbare Gründe. Nehmen wir den Satz der obenstehenden Definition, stellt sich ein Gefühl der Verunsicherung ein.
Da man Neues lernt, da man sich mitunter kopfüber befindet, da man dem Körper vertrauen muss, ohne zu wissen, ob er das auch verdient, ist Verunsicherung also nur eine logische Konsequenz. Ein „Achtung-Schild“ unserer Psyche. Etwas Wertvolles.
So versuche ich als Trainerin immer, der Angst Raum zu geben, diese zu respektieren, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Wenn eine teilnehmende Person verlauten lässt, sie hätte Angst, wird diese von mir nie zu hören bekommen, dass es dafür keinen Grund gäbe, oder dass sie das nicht „braucht“ oder dass das unsinnig wäre.
Die Angst ist da. Somit hat sie Raum verdient. Sie darf und sollte gleichberechtigt behandelt werden. Dann kann man der Angst zuhören, sie ernst nehmen, sich mit ihr auseinandersetzen.
Und im nächsten Schritt darf man sich dann gerne überlegen, ob die Angst nur Blödsinn von sich gegeben hat, oder ob ihre Einwände substanziell sind.
Gleichberechtigung fängt bei sich selbst an. Emanzipation auch.