Nadine Rebel
Wo war denn das Gewitter? Legendär ist seit mehreren Jahren die Gewitter-Oma. Eine 90jährige Dame ruft aus Sorge um ihre Tochter bei der Polizei an, um zu erfahren, wo denn letzte Nacht das Gewitter war. Der Polizeibeamte und die alte Dame verstehen sich nicht und reden mehrere Minuten aneinander vorbei. Am Ende sind beide frustriert. Man muss in jedem Fall schmunzeln. Leider scheinen heute viele Personengruppen aneinander vorbeizureden und auch der Frust scheint auf allen Seiten massiv zuzunehmen.
Lokal begrenzt
Zum Nachdenken brachten mich die schweren Unwetter, die in der Nacht von 11. auf 12. Juli 2023 in Schwaben wüteten. Wir saßen am Abend des 11. Juli noch auf der Terrasse, bemerkten, wie der Wind langsam zunahm und verfolgten das eindrucksvolle Wetterleuchten. Als es zu regnen anfing, zogen wir uns ins Haus zurück. Dann kam das Gewitter. Ein normales Gewitter mit ein paar stärkeren Böen. Regen, Donnergrollen, Blitze, Wind. Am nächsten Morgen lagen ein paar Äste im Garten. Kein Grund zur Besorgnis, nichts worüber man sich Gedanken machen muss.
Die Nachrichten
Dass das Unwetter allem Anschein nach heftigerem Ausmaß war, habe ich durch die Nachrichten erfahren. In den lokalen Radiosendern kamen bereits am nächsten Morgen Menschen zu Wort, die ihre Schäden schilderten: Zerborstene Fensterscheiben, entwurzelte Bäume, vollgelaufene Keller, vernichtete Gemüsebeete, zerstörte Gartenhäuser.
Hoppla! Sollte es tatsächlich so sein, dass wir lokal begrenzt einfach nur Glück hatten und verschont worden waren?
Die Ergebnisse der nachfolgenden Recherche und Bildersuche ließen mich staunen. Tatsächlich, das sah schlimm aus.
Wozu die Gewittergeschichte?
Zunächst war ich nur froh, dass das Wetter uns verschont hatte. Dann übertrug ich die Erkenntnisse auf das Zeitgeschehen. Ist es möglich, dass einige Gebiete, einige Personen, einige Gruppen von guten wie schlechten Ereignissen kaum etwas mitbekommen, sich weder zu den Geschädigten noch zu den Privilegierten zählen können? Natürlich.
Wäre es dann richtig, wenn diese Personen die Ereignisse negieren würden, nur weil sie selbst nicht davon betroffen sind? Natürlich nicht.
Australien gibt es gar nicht
Persönlich muss ich glauben, dass es Länder, die ich selbst noch nie gesehen habe, gibt.
Die Atlanten haben sie verzeichnet, es gibt Fotos und Filme darüber und zahlreiche Menschen haben die Länder schon bereist. Es scheint sie also zu geben. Bleibe ich stur in meinem egozentrischen Gedankenuniversum, könnte ich die Existenz der Länder negieren.
Mag sein, dass es darüber Berichte gibt, aber die sind bestimmt erfunden. Mag sein, dass Menschen diese Länder schon bereist haben, aber Menschen behaupten viel, wenn der Tag lang ist. Mag sein, dass die Atlanten diese Länder zeigen, aber wer sagt denn, dass nicht auch die Atlanten Falsches darstellen?
So kommt man nicht weiter
Glauben versus Wissen. Wer nicht glauben will, dem werden auch Beweise nicht helfen, weil man dann auch den Beweisen keinen Glauben schenken möchte.
Man muss also bereit sein, Geschehnisse mit offenen Augen zu begegnen. Und selbst wenn die Ereignisse, die Auswirkungen, die Entwicklungen nicht zum gewünschten Weltbild passen, muss man in der Lage sein, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sie „wahr“ sein könnten.
Ich habe das noch nicht erlebt
So habe ich in den letzten Jahren nahezu jede Diskussion im Keim erstickt, die „Tätergruppen“ ausmachen wollte. Ich habe jede Gehässigkeit in Bezug auf Kriminalität, Gewaltexzesse, Übergriffe und sexuelle Belästigungen, die angeblich von bestimmten Gruppen verübt worden seien, mit dem Totschlag-Argument, dass ich persönlich Derartiges noch nicht erlebt hätte, zunichte gemacht.
Bis sich die Zeiten änderten, ein anderes Thema beherrschend war und ich den Spiegel vorgehalten bekam. Auf einmal gab es Menschen und Gruppen, Medien und Volksvertreter, die exakt so argumentierten, die von sich auf andere schlossen, die Beweise nicht akzeptierten, die nicht bereit waren, das Negative zu sehen, wenn es nicht ihren Glaubenssätzen entsprach.
Und ich habe die Ohnmacht gespürt, die Verständnislosigkeit, die Ungerechtigkeit, die Fassungslosigkeit, all die negativen Gefühle, die mit dieser Argumentation verbunden waren.
Ist eben etwas Anderes, wenn man auf der „anderen“ Seite steht.
Aus den oben gelisteten Empfindungen kann Wut entstehen. Wut, die sich entladen will. Wut, die ein Ziel benötigt. Wut, die zerstörerisch wirken kann.
Wut führt zu Dauerstress.
Umgang mit Stress
Der Mensch hat 3 Möglichkeiten, mit Stress umzugehen: Flucht, Angriff oder Totstellen.
Bis auf den Angriff habe ich bereits selbst alles versucht: Flucht in Kreativität, Verzicht auf den Konsum irgendwelcher Nachrichten, ganz gleich ob aus den ÖRR oder alternativen Medien.
Resignation als Flucht, nur um wieder so etwas wie Ruhe zu spüren.
Wenn ich die Augen zumache, dann sehe ich nicht, was verkehrt läuft. Und wenn ich nicht sehe, dass etwas verkehrt läuft, dann läuft auch nichts verkehrt.
Kindlich einfach. Es funktioniert nur nicht.
Mehr Pflaster
Man stürzt mit dem Fahrrad, weil man nicht Fahrrad fahren kann. Man zieht sich Schürfwunden zu. Man säubert diese und klebt ein Pflaster drauf.
Man setzt sich wieder aufs Fahrrad und stürzt wieder. Klebt wieder ein Pflaster auf die Wunde. Man zieht sich mehr und größere Wunden zu und kauft mehr Pflaster.
Man wird immer wieder stürzen und die Pflaster sind nur ein oberflächliches Hilfsmittel, welches den Grund der Verletzungen weder in den Mittelpunkt stellt noch behebt.
In diesem einfachen Beispiel scheint es klar zu sein, dass man unter Umständen zunächst einmal nicht mehr aufs Fahrrad steigen sollte, dass man die Fähigkeit, Fahrrad zu fahren, zunächst erlernen sollte, dass man die Balance trainieren muss und dass man dann wieder aufs Fahrrad steigen kann, wenn die Ursachen für die Dauerverletzungen ausgemacht und ausgemerzt worden sind.
Vielleicht ist auch einfach das Fahrrad zu groß, als dass ich ordentlich darauf sitzen kann?
Könnte sein. Dann ist weder das Fahrrad an sich schlecht noch bin ich unfähig. Die Puzzle-Stücke passen nicht zueinander. Daran hat keiner Schuld.
Die Verantwortung für meine weiteren Verletzungen muss ich nur dann selbst übernehmen, wenn ich keine Ursachenforschung betreibe und stur weiterverfolge, was keinen Erfolg bringt.
Die Verantwortung für meine Verletzungen müssen nur dann andere übernehmen, wenn sie mir im Vorfeld gesagt hätten, man könne überhaupt nicht vom Fahrrad fallen oder die mir nur Pflaster für mein Schädel-Hirn-Trauma verordnen wollen, oder die mich immer und immer wieder auf das Fahrrad zwingen, selbst wenn ich deutlich sage, dass ich zunächst einmal nicht mehr Fahrradfahren will.
Wut ist falsch
Wut über die mangelnde Fähigkeit, Fahrrad fahren zu können, wird nicht dazu führen, dass ich besser Fahrradfahren kann.
Ich muss erkennen, dass ich etwas nicht kann und mir Hilfe holen bzw. Ursachenforschung betreiben. Wenn ich selbst die Situation nicht verbessern kann, werde ich formulieren, was mich stört, was ich gerne verändert haben möchte, was ich nicht kann, welche Folgen das hat und dass ich mir immer und immer wieder Verletzungen zuziehe.
Und ich werde mich an Personen wenden, von denen ich meine, dass sie mir helfen können.
Wer hat die Geduld, nach Nummer 9 zu suchen?
Die Lösung kann mir nur die neunte Personengruppe bieten. Meine Geduld, vorbelastet durch Verletzungen, Wut, Zorn, Ärger, Enttäuschung, mangelndes Selbstvertrauen ist ziemlich am Ende. Ich habe weder Lust noch Kraft Personengruppe 9 zu suchen. Und selbst wenn ich diese finden würde, bedeutet es, dass ich erneut Anstrengungen auf mich nehmen muss, um das Problem zu beseitigen. Anstrengungen kann ich nur bewältigen, wenn ich Kraftreserven habe, aber diese sind aufgebraucht.
Also kaufe ich weiter Pflaster, finde es nur fair, wenn Fahrräder bestraft werden, halte es für eine mögliche Lösung, Fahrradfahren komplett zu verbieten, reagiere wütend auf die, die behaupten, dass man gar nicht vom Fahrrad fallen kann, kaufe mir ein neues Fahrrad, weil man schließlich investieren muss und beginne, wo immer es geht, Fahrräder zu missachten. Vielleicht fange ich sogar an, Fahrräder zu bekämpfen. Gäbe es keine Fahrräder, wäre ich auch nicht heruntergefallen.
Einfache Lösungen
Das Fatale daran ist, dass keine der einfachen Verhaltensweisen das Grundproblem löst, aber auch, dass das Grundproblem nur gelöst werden kann, wenn es als solches erkannt wird.
Wenn ich das Grundproblem nicht sehe, es nicht erkenne und es (weiter) negiere, weil ich selbst damit noch nie in Berührung gekommen bin, werde ich weder das richtige Fahrrad finden noch Fähigkeiten erlernen, die Probleme lösen können.