Nadine Rebel
Die Stimmung hat man nicht in der Hand und doch kann sie eine tragende Rolle übernehmen. Über Stimmungen zu reden ist esoterischer Nonsens. Die Stimmung macht den Trainingseffekt nicht aus. Emotionen stehen auf der einen und Fakten auf der anderen Seite. Stimmungen sind unsichtbar und dennoch greifbar. Die Stimmung hat etwas mit der Schwingung zu tun. Warum Tiefs zu harmonischen Schwingungen gehören und es dennoch schwer ist, diese auszuhalten, darüber habe ich mir meine Gedanken gemacht.
Stimmung
Eine Stimmung ist ein Gefühl. Dieses kann angenehm oder unangenehm sein. Das Erleben einer Situation findet vor dem Hintergrund der (eigenen) Stimmung statt. Die eigene Stimmung ist von vielen Faktoren abhängig. Jede Person ist schon ein oder mehrfach mit dem sprichwörtlichen falschen Fuß aufgestanden, was die Tagesstimmung grundlos trübte.
Da zwischen Stimmung und Antrieb eine enge wechselseitige Beziehung besteht, ist es nachvollziehbar, dass eine schlechte Stimmung den eigenen Antrieb negativ beeinflusst. Umgekehrt wird leider auch ein Schuh daraus, denn wenn man keinen Antrieb hat, befindet man sich damit selten in einem Stimmungshoch.
Eine Stimmung wird in der Psychologie als länger anhaltender emotionaler Zustand beschrieben, der im Vergleich zu einer (akuten) Emotion weniger intensiv wahrgenommen wird.
Die gute oder schlechte Stimmung lässt sich dabei nicht immer zwingend einem Objekt oder einem konkreten Auslöser zuordnen, was den Umgang mit ihr nicht gerade erleichtert.
Irgendwann stellt man fest, dass man von einer guten Stimmung beflügelt wird, oder aber, dass eine schlechte Stimmung einen in ein Loch zu ziehen droht.
Wann fing das eigentlich an?
Gute Frage, die sich nicht beantworten lässt, denn eine Stimmung hat häufig weder ein klares Ende noch einen klaren Anfang. Was sie allerdings auszeichnet, ist der persönliche Wert, den man dieser Stimmung beimisst.
Stimmungen sind dabei wie Brillen oder Nebel. Rosarote Brillen, Brillen mit gefärbten Gläsern, Nebel, die sich über alles legen und bis in die Knochen ziehen.
Wer eine rosarote Brille trägt, wird meist von einer positiven Stimmung getragen, wer eine Sonnenbrille trägt, obwohl dazu keine Notwendigkeit besteht, sieht alles schwarz, wer durch gelb getönte Gläser guckt, wird fröhlicher und wer im Nebel wandelt, sieht selten klar.
So wird auch im Lexikon der Psychologie die Stimmung als Gefühlstönung beschrieben, aber auch als die Bereitschaft, aufgrund einer inneren Trieblage ein bestimmtes Verhalten durch einen entsprechenden Schlüsselreiz auszulösen oder zu lassen. (Meyers kleines Lexikon Psychologie. Bibliogr. Inst, Mannheim 1986).
Die Stimmung kann ein Katalysator sein. Die Inbetriebnahme dieses Katalysators hat man dabei nur bedingt in der Hand.
Wer aber die Schlüsselreize erkennt, sich reflektiert und die Triggerpunkte für eine gute oder schlechte Stimmung identifiziert, der kann auch einem schlechten Tag etwas abgewinnen.
Stimmung und Motivation
Kein Kaffee da. Grau, kalt und nass. Niemand hat Zeit und man hat zu nichts wirklich Lust?
Unschwer die Schlüsselreize für eine schlechte Stimmung zu identifizieren.
Die Sonne scheint, auf der To-Do-Liste befinden sich ausschließlich Punkte, deren Abarbeitung einen mit Freude erfüllt? Dann greift man viel motivierter in die Wühlkiste mit der Aufschrift „Alles, was dieser Tag zu bieten hat“.
Für sich allein gesehen ist die Thematik an sich schon komplex genug. Was aber passiert, wenn verschiedene Menschen mit verschiedenen Stimmungen am Ende eines Tages aufeinandertreffen, wenn aus Einzelindividuen eine Gruppe werden soll?
Gruppendynamik
Die Gruppendynamik wird als Phänomen wiederholter sozialer Interaktion beschrieben.
Wenn von einem Phänomen die Rede ist, lässt dies die Vermutung zu, dass man es registriert, wahrnimmt, feststellt und es dennoch nicht wirklich erklären kann.
Eine Gruppe ist mehr als die Zusammensetzung der Individuen. Die Rechnung, die nicht aufgeht und die Verwendung des Begriffs „Phänomen“ rechtfertigt, ist dem Umstand geschuldet, dass man die Fähigkeiten und Eigenschaften der Einzelmitglieder einer Gruppe kennt und die Summe dennoch abweicht.
Eine Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Teile. Klingt unlogisch.
Über die Zeit hinweg hat sich die Bedeutung des Wortes „Dynamik“ verändert. Im Altgriechischen bedeutete Dynamik Macht und Kraft, im modernen Sprachgebrauch wird mit Dynamik eher eine Veränderung beschrieben.
In jedem Fall scheint es ein Phänomen zu sein, welches die Macht und Kraft besitzt, Dinge und Situationen zu verändern.
Was passiert innerhalb der Gruppe? Damit beschäftigt sich die Intra-Gruppendynamik. Eine Gruppe kann Prozesse, die sie selbst betreffen, verändern. Eine Gruppe wächst zusammen oder entwickelt Konfliktpotential, eine Gruppe verändert ihre eigenen Strukturen. Die Rollen der Gruppenmitglieder verändern sich, Gruppenmitglieder kommen hinzu, andere verlassen die Gruppe, weil die Stimmung nicht mehr passt.
Jede Veränderung kann sich auf die Stimmung jedes einzelnen Mitglieds auswirken, was wiederum die Gruppendynamik verändert.
Intra-Gruppendynamik beschreibt das, was innerhalb der Gruppe ohne einen Machteingriff von außen geschieht. Es macht einen Unterschied, Teammitglied geht oder entlassen wird.
Ersteres kann intra-gruppendynamisch oder stimmungsabhängig durch die Einzelperson bedingt sein, Letzteres wäre ein Eingriff von außen.
Schwingung
Alles ist Veränderung. Nichts bleibt statisch. Was schwingt, das schillert.
Zunächst mögen diese Worte etwas kryptisch klingen, tatsächlich sind es nur Umformulierungen der wissenschaftlichen Definition physikalischer Schwingungen.
Schwingungen oder Oszillationen sind wiederholte Schwankungen von Zustandsgrößen eines Systems.
Eine Schwankung ist die Abweichung vom Mittelwert. Jedes System, welches von Rückkopplungen betroffen ist, unterliegt Schwingungen.
Diese Erklärungen beziehen sich auf die Mechanik, auf die Elektrotechnik, auf die Biologie und die Wirtschaft - und auf das, was in Gruppen passiert.
Obwohl ich selbst mit Physik, zumindest wenn ich an meine Schulzeit denke, so gar nichts am Hut habe, haben mich die Ausführungen über harmonische Schwingungen zum Nachdenken gebracht.
Als harmonisch wird in der Physik eine Schwingung bezeichnet, die durch eine Sinusfunktion beschrieben werden kann. Sinusfunktion: Diese Wellen, die sich durch Höhen und Tiefen auszeichnen.
Tiefen als Bestandteil der Harmonie
Dabei habe ich Harmonie bisher eher mit dauerhafter verlässlicher Ruhe und der Abwesenheit von Ausschlägen ins Positive oder Negative gleichgesetzt. Ein ruhiger See, der keinerlei Gefahr bedeutet.
Doch auf einem ruhigen See kann man einzig durch die eigene Kraft vorankommen
Man erhält keinerlei Unterstützung durch Wind und Wellen, man ist allein in der Ruhe gefangen. Flaute.
Höhen und Tiefen, Wind und Wellen, die Dynamik der Elemente, die sich um mich herum befinden, können dazu beitragen, dass ich selbst weniger Kraft aufbringen muss, um mein Ziel zu erreichen. Ich kann mich ein Stück weit tragen lassen.
Ich werde Wellenberge und Wellentäler erleben und dennoch ist es harmonisch.
Seltsame Vorstellung, scheint die gesamte Gesellschaft durch die Suche nach Gipfeln, Spitzen und Höhen geprägt zu sein. Höher, schneller, weiter.
Das „Auf“ wird gefeiert, das „Ab“ stellt das Versagen dar.
Dieses natürliche Auf und Ab als harmonische Schwingung zu bezeichnen, wäre mir zunächst nicht in den Sinn gekommen.
Tiefs als natürlichen Bestandteil von Harmonie zu betrachten, daran muss ich noch arbeiten.
Tiefen gehören dazu. Man wird sie nie ganz vermeiden können, selbst in der harmonischsten Beziehung nicht.
Mit dem Wissen, dass die Schwingung harmonisch ist, kann man sich rein physikalisch sicher sein, dass es auch wieder aufwärts gehen wird.
Ja, man kann sogar ein wenig die Zeitdauer des Tiefs abschätzen, denn harmonische Schwingungen zeichnen sich durch gleichmäßige Hochs und Tiefs ab.
Starrheit widerspricht der Dynamik und was nicht schwingt, das schillert auch nicht (mehr).
Erzwungene Schwingungen
Die richtige Stimmung lässt sich nur bedingt beeinflussen und auch eine natürliche oder harmonische Schwingung sollte man nicht zu sehr manipulieren wollen, denn erzwungene Schwingungen können das System zum Einsturz bringen.
Brücken schwingen. Hochhäuser schwingen. Diese Bauwerke müssen sich bewegen, um nicht einzustürzen. Wären sie vollkommen starr, würde dies eine Gefahr für alle Menschen bedeuten, die sich auf oder in ihnen befänden.
Und selbst ein Mensch, der im wahrsten und übertragenen Sinne mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, bewegt sich.
Das lässt sich an einem Experiment leicht feststellen. Wer sich mit gestreckten Beinen auf den Boden stellt, die Beine vollkommen anspannt und versucht, keinen Millimeter mehr nachzugeben und nun noch die Augen schließt, der merkt, wie wenig diese Starrheit der Balance zuträglich ist.
Wer die Füße und die Muskeln ein wenig arbeiten lässt, der spürt, dass sich der Körper immer in Bewegung befindet, selbst wenn er entspannt und harmonisch wirkt.
Wer eine Schwingung erzwingen will, riskiert eine Resonanzkatastrophe.
Soldaten laufen im Gleichschritt. Außer, wenn sie eine Brücke überqueren, denn dann könnte dieser Gleichschritt die Brücke zum Einsturz bringen.
In Deutschland untersagt § 27 (6) der Straßenverkehrsordnung das Überqueren einer Brücke im Gleichschritt. Der Gleichschritt könnte eine erzwungene Schwingung erzeugen, die die Brücke zum Einsturz bringt
Die Resonanzkatastrophe bezeichnet die Auswirkungen von Schwingungen, deren Ausschläge zu hoch werden, als dass die Konstruktion diese noch abfedern könnte.
Wir die Schwingung durch periodisch wiederkehrende Reize in der Art verstärkt, dass die Frequenz mit der Resonanzfrequenz übereinstimmt, wird die dadurch entstehende Energie auf das System übertragen. Übersteigt das die Belastungsfähigkeit des Systems, stürzt das System ein.
Die schlechten Schwingungen werden durch äußere Erreger erzeugt. Treffen die Erreger nun den richtigen Ton, korrekt gesprochen die Eigenfrequenz des Systems und existieren nicht genügend Dämpfer, kommt es zur Resonanzkatastrophe.
Die Schwingung wird so stark, dass man den Halt verliert.
Unterschiede und unterschiedliche Schwingungen sind wichtig und schützen das System. Ein System, eine Gruppe und auch Stimmungen werden sich immer verändern. Das System muss über Dämpfungsmechanismen verfügen, wenn Schwingungen nicht derart verstärkt werden sollen, dass alles zusammenbricht.
Und eine harmonische Schwingung zeichnet sich durch das Vorhandensein von Tiefs aus.
All diese Erkenntnisse können zu mehr Gelassenheit führen und zu Schwingungen, die einen Stück für Stück vorantreiben, ohne dass dabei die Ausgleichmechanismen überstrapaziert werden.