Nadine Rebel
Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendetwas gut sein könnte. Oder: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Diese beiden Plattweisheiten fielen mir ein, als ich über ein Werbetelefonat nachdachte. Nicht nur, dass sich mit Beginn des Jahres 2023 die Anzahl der unerwünschten Werbeanrufe und Betrugsversuche (Weiterführung angeblicher Werbeeinträge etc.) schlagartig erhöht zu haben scheinen, nein, auch die Werbeanrufe schlecht geschulter Personen nehmen zu.
Schritt 1: Das Kompliment
Es beginnt eigentlich immer gleich. Über die Messenger-Funktion einer sozialen Plattform wird man bzgl. der eigenen Präsenz auf jener angeschrieben. Inhalt des Schreibens:
Großartige Performance, super Angebot, könnte man aber optimieren, sinnlose Fragen, ob man noch Kapazitäten für mehr Geld hätte.
Ja, ich gebe es zu, hier sollte die Geschichte enden. Wer auf so etwas hereinfällt, ist selbst schuld. Richtig.
Ich weiß auch nicht, was mich manchmal dazu treibt, zu antworten. Ist es Masochismus, Langeweile oder Verzweiflung?
Die Antwort
Beim letzten Mal habe ich also den Absender (m, w, d) damit konfrontiert, dass ich mich über das Kompliment freuen würde, die Frage einfließen lassen, was genau so einen tiefen Eindruck hinterlassen hätte und die Antwort-Nachricht mit der Frage geschlossen, ob es sich hier nicht um einen Standard-Text handeln würde, der an jeden potenziellen Neukunden gehen würde.
Ich hatte erwartet, dass ich so meinen mir unter den Nägeln brennenden Zynismus von der Seele geschrieben hätte und nichts weiter kommen würde.
Zynismus gehört wohl in die Liste der (kleinen) Sünden und die bestraft der liebe Gott bekanntlich sofort. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und schien mich zunächst eines Besseren zu belehren, da man mir zu verstehen gab, dass man sich tatsächlich mit dem Unternehmen auseinandergesetzt hätte, deren Kontaktperson man anschreibt.
Das Telefonat
So kam es am folgenden Tag zu einem Telefonat, welches natürlich nicht dazu dienen soll, dass ich etwas kaufe. Nein. Am Ende soll ich nur für eine Dienstleistung Geld ausgeben und mich aktiv dafür entscheiden. Ich verstehe bis heute den Unterschied nicht, aber das mag an meiner mangelnden geistigen Flexibilität liegen.
Angeln Sie gerne?
Da das Gespräch eine komische Art von Humor offenkundig werden ließ, will ich die Inhalte den ihrerseits interessierten Lesern (m, w, d) nicht vorenthalten.
Die Person am anderen Ende der Leitung war in jedem Fall geduldig. Das muss man ihr lassen. Ich war nicht der netteste Gesprächspartner, dass muss ich mir lassen.
Die Plattitüden, ob man etwas gegen mehr Verdienst hätte, ob man keine weiteren Kunden wollen würde, waren erst der Anfang. Diesen entgegnete ich schon grundgenervt mit der Gegenfrage, wer denn bei derartigen Fragen „Nein“ antworten würde. Nun kam ein Rundumschlag auf die Branche der Gastronomie. Der Herr (es war eine männliche Stimme, weswegen ich hier nicht ganz gendergerecht die Umschreibung „Herr“ verwende, ohne zu wissen, ob ich diesen Menschen damit unbekannterweise diskriminiere, was mir fernliegt) meinte, dass auf diese Fragen vor allem die Gastronomen häufig antworten würden, dass sie Kunden satthätten und eigentlich nur Geld ohne Arbeit verdienen wollen würden.
Chapeau an die antwortenden Gastronom*innen. Ich musste schmunzeln.
Dann versuchte sich der Mensch am anderen Ende der Leitung mit Metaphern und Story-Telling: Er stellte die Frage, ob ich gerne angeln würde. Ich erklärte, dass dem nicht so wäre.
Daraufhin meinte mein Gesprächspartner, dass das jetzt schlecht wäre, aber er würde das Beispiel jetzt dennoch verwenden, weil er gerne angelt.
Die Frage lautete: Wenn Sie angeln gehen, verwenden Sie dann lieber ein Netz oder einen Köder? Ich antwortete, dass ich das nicht wissen würde, weil ich ja nicht angeln würde.
Er: Also ich gehe gerne angeln und ich verwende lieber Köder, weil ich vor allem Heringe angle.
Aha. Und jetzt?
Nun, er wollte mir mit dieser Metapher erklären, dass es besser wäre, gezielt auf Kundenfang zu gehen, als alle möglichen Kunden mit einem Netz einfangen zu wollen. Das war mir schon klar, nur erklären konnte er es nicht.
Die Firmenphilosophie
Dann kamen wir auf meine Firmenphilosophie zu sprechen. Diese passte nicht in das Konzept der zu verkaufenden Werbestrategie meines Gesprächspartners. Sichtlich überfordert stellte er tatsächlich die Frage, ob ich bereit wäre, meine Firmenphilosophie zu ändern, damit seine Werbestrategie auf meine Firma passen könnte.
Im Moment wusste ich nicht, ob ich mit den Füßen aufstampfen oder laut lachen hätte sollen.
Irgendwie fühlte ich mich an den Witz erinnert, bei dem eine Person zu einem Herrenschneider kommt und einen Maßanzug haben möchte. Der Schneider versteht sein Handwerk nicht und bei jeder Anprobe des neuen Maßanzugs stellt man gemeinsam fest, dass der Anzug nicht sitzt und nicht passt. Der Schneider bittet seinen Kunden dann jedes Mal, doch die Schulter etwas mehr hochzuziehen bzw. ein Bein etwas anzuwinkeln, damit der Anzug doch passen würde. Am Ende verlässt der Kunde die Schneiderei mit seinem neuen Maßanzug und erinnert in seiner Körperhaltung an Quasimodo. Passanten (m, w, d) tuscheln über diesen Herren im Maßanzug und bemitleiden ihn, wegen seiner sichtbaren körperlichen Leiden, worauf eine Person entgegnete, dass dieser Herr mit der unmöglichen Figur allerdings einen großartigen Schneider haben müsse, der einen so gutsitzenden Anzug angefertigt hätte.
Die Fassade
Zurück zu meinem Gesprächspartner. Er hatte noch mehr Vergleich auf Lager, die mir erklären sollten, wie dringend ich seine Dienstleistung benötigen würde. Er skizzierte folgende Szene: In einer Straße gäbe es zwei Obsthändler. Ein Obsthändler würde sehr gute und qualitativ hochwertige Ware anbieten, doch der Eingang und die Fassade des Geschäfts sehen schmuddelig und dreckig aus. Der andere Händler würde minderwertige Ware zu einem überhöhten Preis anbieten, aber nach außen hin würde das Geschäft einen großartigen Eindruck hinterlassen.
Wohin ich mich wenden würde, um Obst zu kaufen, frug er mich.
Nun, ich antwortete, dass ich in diesem Falle lieber bei keinem der beiden Händler kaufen wollen würde, bzw. mich auf die eventuell vorher eingeholte Mundpropaganda verlassen würde.
Weder würde ich mich bei völliger Unkenntnis in ein schmuddeliges Geschäft begeben wollen noch mein Geld einem Blender überlassen, der sich nur um die Fassade kümmern würde, mich als Kunden aber über den Tisch ziehen wolle.
Setzen 6. Themaverfehlung. Meine Antwort war nicht nur unbefriedigend, sondern ungenügend für meinen Gesprächspartner.
Er erklärte es mir, wie einem kleinen Kind. Vor allem die Fassade müsse stimmen und die Schönheit des Angebots müsse klar nach außen gearbeitet werden, wenn man mehr Kunden haben wolle.
Ich erdreistete mich nun zu fragen, was er mir damit sagen wolle: Solle ich mehr auf die Fassade meines Angebots achten, weil diese einen schmuddeligen und billigen Eindruck hinterlassen würde oder möchte er zum Ausdruck bringen, dass die Fassade stimmt, aber mein Produkt minderwertig ist? Oder soll ich meine Produktqualität reduzieren, weil die Fassade schon so großartig wäre?
Ich erhielt leider keine Antwort.
Beratungsresistent
Auch das Ende des Telefonats war wie erwartet. Man würde schon sehen, dass ich kein wirkliches Interesse an Erfolg haben würde und ich zudem nicht kapieren würde, worum es im Leben wirklich geht. Man wünsche mir dennoch alles Gute und wenn ich zur Vernunft gekommen wäre, könnte ich mich ja nochmals melden.
Seitdem sitze ich hier und schäme mich.
Nebenbei frage ich mich, in welchen Schulungen zum Thema Telefonmarketing dieses Wissen weitergegeben wird und ob hier die Fassade oder der Inhalt zählt.