Nadine Rebel
„Es gibt nur eine einzige von Zwergen bediente Riesenmaschinerie, und das ist die Bürokratie.“
Honoré de Balzac
Tröstlich an diesem Zitat ist nur, dass dies schon im 19. Jahrhundert so empfunden wurde. Die Riesenmaschinerie ist so erdrückend, dass sie einem oft die Kraft und Motivation für die Hauptarbeit nimmt. Bürokratieabbau? Fehlanzeige. Und auf eines ist Verlass: Kaum hat man das Gefühl, sich an alle Vorgaben ordentlich zu halten, werden neue aus dem Boden gestampft.
Müde
Dann schlafe, denn wer schläft, sündigt nicht.
Im Umgang mit Vorschriften kann das den unternehmerischen Tod bedeuten. Die Auflagen und Richtlinien sind dabei mittlerweile so umfangreich, dass man sich sicher sein kann, fehlerhaft zu handeln.
Impressumspflicht, DSGVO, Genderrichtlinien, Antidiskriminierungsmaßnahmen, Steuervorschriften, Haftungsfragen, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Einkommenssteuer, Rentenversicherungspflicht, Sozialversicherungsabgaben, Mindestlohn, Buchführung, AGB. In den letzten Jahren kamen die sich fast täglich ändernden Corona-Richtlinien dazu, danach folgten die Vorschriften zum Sparen von Energie. Und immer die Angst im Hintergrund, etwas übersehen zu haben, was professionelle Fehlersucher entdecken.
Leistung unter zermürbenden Umständen
Seit wir selbständig sind, war es nie die Arbeit an sich, die ermattet hat. Es waren immer die Begleitumstände. Schreiben, bis spät in der Nacht, Kundenanfragen beantworten, Schulungen vorbereiten, recherchieren, Kurse planen, Choreografien erstellen, Hilfestellung leisten, ein und dieselbe Übung zum gefühlt 1000. Mal zeigen, trotz privater Sorgenlast den gutgelaunten Alleinunterhalter mimen. All das gehört untrennbar zum Tätigkeitsfeld. Mitunter ist das sehr anstrengend, aber es hat nie den letzten Rest der verbliebenen Energie geraubt. Das schafft nur die Bürokratie. Ein Krake, der von allen Seiten angreift, sich überall mit zahlreichen Saugnäpfen anheftet und einen auseinanderzureißen droht.
Weisungsgebunden
Ein wesentliches Merkmal eines Freiberuflers oder unternehmerisch tätigen Selbständigen ist seine Weisungsfreiheit. Nur wer so arbeitet, wie er, sie oder es dies für richtig erachtet und dabei seine Arbeit, seine Arbeitszeit und die Art und Weise, wie er diese ausführt, frei gestalten kann, ist selbständig. Alle anderen, sobald sie weisungsgebunden arbeiten, sind nur zum Schein selbständig. So zumindest sehen es die Sozialversicherungen.
Legt man diese Maßstäbe an den Tag, ist man nicht Bürger eines Landes, der unternehmerisch tätig ist, sondern Angestellter der Bürokratie.
So heißt es beispielsweise in den Kriterien, die eine Unterscheidung von Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis deutlich machen sollen, dass der Auftraggeber nicht vorschreiben darf, wann die Tätigkeit zu erledigen ist.
(Ich vermute fast, dass dies der Grund ist, warum Handwerker (m, w, d) selten zum vereinbarten Zeitpunkt erscheinen. Sie dürfen es gar nicht und haben es erkannt.)
Kriterien, die gegen eine selbständige Tätigkeit sprechen:
· Der Auftraggeber kann verlangen, dass die Tätigkeit nach seinen Wünschen ausgeführt wird.
· Der Auftragnehmer kann den Auftragsinhalt nicht nach seinen Wünschen während der Ausführung verändern.
· Es wird ein Zeitpunkt vereinbart, zu welchem die Tätigkeiten ausgeführt werden sollen.
· Für die Leistung wird ein vorher kalkuliertes Entgelt vereinbart.
· Der Auftragnehmer kann damit rechnen, dass das vereinbarte Honorar gezahlt wird.
Ja, wo kämen wir denn hin, wenn eine selbständig tätige Person sich nach den Wünschen des Auftraggebers richtet und diese Tätigkeiten auch noch zum vereinbarten Zeitpunkt ausführt, nach erbrachter Leistung noch Geld haben möchte und dies in der Höhe, die vorher vereinbart worden ist?
Wie sieht es dann mit freiberuflichen Übersetzern aus? Diese machen die Inhalte eines Schriftstücks in einer anderen Sprache verfügbar. Sie gelten dann als gut, wenn trotz einer anderen Sprache der Inhalt nahezu identisch ist.
Das ist der Auftrag. Von dem sollte auch nicht abgewichen werden.
In Zukunft also aus dem übersetzten Führerschein ein übersetztes Führungszeugnis machen, oder ein Finanzdokument in eine prosaische Kurzgeschichte verwandeln?
Schulungsmaßnahmen, Gesundheitstage, Coaching
Ein Bildungsträger beauftragt eine externe Person mit der Durchführung von Seminaren zu den Themen „Teamzusammensetzung“, „Rhetorik und Körpersprache“. Die Termine werden vorher vereinbart, die Schulungen sollen in regelmäßigen Abständen stattfinden, es wird ein Tageshonorar vereinbart, welches monatlich abgerechnet wird.
Achtung!
Wenn die Honorarkraft jetzt tatsächlich Seminare zu den oben genannten Themen abhält, zu den vereinbarten Terminen erscheint, das Tageshonorar in Rechnung stellt und es auch noch bekommt, widerspricht das einer selbständigen Tätigkeit.
Das kann bedeuten, dass der Auftraggeber die Honorarkraft eigentlich anstellen müsste, in jedem Fall aber Sozialversicherungsbeiträge abführen muss.
Selbständig arbeitet man nur, wenn man die Freiheit hat, sich zu überlegen, dass man, anders als vereinbart, das Seminar doch am Wochenende abhalten möchte. Also erscheint die Honorarkraft an einem Samstag, weil ihr gerade danach ist. Blöd ist dabei nur, dass kein Seminarteilnehmer da ist. Macht auch nichts, ist ja unternehmerische Freiheit.
Oder aber der Freiberufler entschließt sich, während eines laufenden Seminars, doch lieber über die Regenwurmzucht im Gemüsebeet zu referieren. Da dieser Inhalt natürlich sehr viel wertvoller ist als das zuvor vereinbarte Thema, stellt er auch eine andere Summe in Rechnung. Unternehmerische Freiheit!
Mag sein, dass es Berufsgruppen gibt, die so arbeiten. Ich gehöre nicht dazu, deswegen bin ich auch abhängig und nicht selbständig.
Was tun, um wirklich selbständig zu arbeiten?
Die selbständige tätige Person sollte Folgendes beachten (Tipps vom Rechtsexperten):
Beispiel VHS
Die Volkshochschule arbeitet gemeinhin mit freien Dozenten (m, w, d). Die VHS stellt einen Kursplan auf, legt die Dauer der Kurse fest, erstellt ein Programm, legt fest, was die verschiedenen Kurse kosten.
Die interessierten Personen buchen den Kurs bei der VHS und zahlen ihr Kursentgelt auch an diese.
Die VHS sucht sich für die Durchführung der Kurse geeignete Personen, die nicht bei der VHS angestellt sind.
Dieses Kursleiter kommen nun auch zum vereinbarten Zeitpunkt, halten sich an die vereinbarten Inhalte und arbeiten mit den Personen, die einen Kurs bei der VHS gebucht haben?
Böser Fehler, denn dann sind sie abhängig beschäftigt und arbeiten weder freiberuflich noch selbständig.
Kurze Frage: Was darf Satire?
DSGVO
Vor Jahren wurde ein neues Damoklesschwert geschmiedet, welches fortan über den Köpfen aller zu hängen schien. Die Datenschutzgrundverordnung.
Wochenlang saß ich über den zu erstellenden schriftlich zu fixierenden Vorgängen, die nachgewiesen werden mussten und für die es jeweils ein eigenes Vorgangsprotokoll geben musste.
Was passiert, wenn ein Kunde sich anmeldet?
Was passiert, wenn ein Kunde sich abmeldet?
Was passiert, wenn ein Kunde den Kurs wechselt?
Wie wird ein Kunde kontaktiert?
Verfahrensliste hieß das neue Kind der Bürokratie. Für jeden Vorgang, der mit Kundendaten zu tun hatte, musste ein eigenes Verfahren hinterlegt werden.
Allein für das Studio CrazySports Augsburg kamen so 37 Verfahren zusammen. Um nur einige zu nennen:
· Daten Kontaktformular
· Daten Anmeldeformular
· Datenverarbeitung nach Anmeldung
· Datenverarbeitung bei Rechnungsstellung
· Datensicherheit E-Mail
· Datensicherung geschriebener Rechnungen
· Datensicherung stornierter Anmeldungen
· Verfahren zur Aufbewahrung der Einverständniserklärung
· Verfahren Buchhaltung
· Verfahren Kursanmeldung usw. usw. usw.
Es fehlen noch 27 aufgestellte Verfahren in diesem Auszug
Dieser Ordner liegt immer noch hier.
Die Angst vor massiven Strafen war hoch. Die Geschichten von Geldbußen in Millionenhöhe, die jedes Unternehmen in die Knie zwingen würden, kursierten.
Also verwendete man seine Arbeitszeit auf die Erstellung von Verfahren, schrieb 12 Seiten „Datenschutz im Studio“, aktualisierte die Webseite mit weiteren 12 Seiten und war sich am Ende immer noch nicht sicher, ob man nun wirklich korrekt mit Kundendaten umgehen würde.
Wir erinnern uns: Es war die Zeit, in der Personen im Wartezimmer nicht mehr mit Namen aufgerufen werden durften, da auch das schon einen Verstoß gegen die DSGVO bedeutet hätte. Auch die Kundenansprache beim Bäcker oder Metzger mit Namen war ein Verstoß!
Sensible Daten, die auf diesem Wege anderen zugänglich gemacht werden würden.
Dagegen musste in jedem Fall vorgegangen werden.
Corona-Maßnahmen
Und dann kam Covid und alles wurde anders. Jetzt machte man sich strafbar, wenn man die Kundendaten nicht penibel kontrollierte.
Jetzt musste man über den tagesaktuellen Gesundheitszustand informiert sein, benötigte von jeder Person den Namen, das Geburtsdatum, die Adresse und die Kontaktmöglichkeiten und musste dies auch belegen und archivieren.
Testergebnisse, sensible Gesundheitsdaten, Einblick in den Impfpass. Täglich. Vorgeschrieben.
Diente der möglichen Nachverfolgung von Infektionsketten.
Dass diese Regelungen nur einen Bruchteil der, wie Pilze aus dem Boden geschossenen Vorsichtsmaßnahmen darstellten, hat wohl kaum eine Person vergessen.
Ein Irrsinn.
Energiesparmaßnahmen
Dann kam der Krieg und auch hier zeigten und zeigen wir uns solidarisch. Keine Frage.
Ganz konkret ging es um die Energie, die nunmehr horrend teuer geworden war und die Verpflichtung, Energie zu sparen.
So war es mir als Unternehmerin verboten, Leuchtreklame zu nutzen. Von 22:00 Uhr bis 16:00 des darauffolgenden Tages hatte es dunkel zu bleiben. Energiesparmaßnahmen.
Teilweise gab es Vorschriften, welche Temperaturen in meinen von mir angemieteten Räumlichkeiten herrschen durften.
Man hatte den Weisungen Folge zu leisten. War also schon wieder einmal weisungsgebunden.
Aber immerhin konnte man die angemieteten Räumlichkeiten wieder so nutzen, wie man es eigentlich vorgesehen hatte. Das war 9 Monate lang nicht der Fall gewesen.
Da war es verboten, Menschen zu empfangen. Da hat man klare Anweisungen gegeben, wie sich ein Unternehmer verhalten muss.
Auch die Freiheit, die Arbeit so zu gestalten, wie man es als Unternehmer für richtig hält, ist ein Indiz für die Selbständigkeit.
Klarer Fall. Nein, selbständig war ich wahrlich nicht in dieser Zeit. Nur leider hat der Staat mir auch keinen Lohn gezahlt, geschweige denn Sozialabgaben. Hilfen, die großmütig versprochen wurden, entpuppten sich als Mogelpackungen.
Verpflichtender Leistungszeitraum
Die Umsatzsteuervoranmeldung muss verpflichtend bis zum 10. des Folgemonats erledigt werden. Bis zu diesem Tag muss das Geld auf dem Konto des Finanzamts sein.
Bei verspäteter Zahlung (auch der Sondervorauszahlungen) wird für jeden angefangenen Kalendermonat (gerechnet ab Ablauf des Fälligkeitstags - OHNE SCHONFRIST) ein Säumniszuschlag berechnet.
Schon wieder arbeitet man weisungsgebunden. Man hat den Auftrag, diese Tätigkeit exakt bis zum Fälligkeitstag zu erledigen. Schafft man das nicht, oder möchte seiner unternehmerischen Pflicht der Freiheit der Arbeitsgestaltung nachkommen, wird man bestraft.
Das gilt übrigens nur in eine Richtung.
Die Rückzahlung von dem Staat zur Verfügung gestellten Steuergeldern, die sich als zu hoch erwiesen haben, kann dauern.
7 Monate waren es dieses Jahr.
Ich darf übrigens keine Zinsen aufschlagen.
Unternehmerisches Risiko
Begründet werden diese Vorgaben damit, dass man nicht als Unternehmer tätig ist, wenn man kein unternehmerisches Risiko trägt.
Die Freiheit des Auftraggebers von heute auf morgen auf die Dienstleistung verzichten zu können, der fehlende Urlaubsanspruch, die Abstinenz von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die gestiegenen Kosten und die Inflationsrate, die nicht ausgeglichen oder auf Kunden übertragen werden können und die Regelungen und Maßnahmen, die ein unternehmerisch erfolgsorientiertes Handeln nahezu unmöglich machen, sind kein Risiko, schon gar kein unternehmerisches.
Erinnert mich an die Argumentation eines bekannten Märchenerzählers. Man hat kein Risiko, man kann sich nur nicht sicher sein und sich auf nichts verlassen, das ist aber eine willkommene Abwechslung im langweiligen Alltag eines Menschen, kein Risiko.
Welches Ziel soll hier verfolgt werden?
Manchmal bin ich so müde, dass ich mir überlege, ob es das alles noch wert ist?
Man kann es nicht richtig machen, kaum hat man einen Berg erklommen, werden noch ein paar mehr Steine auf den Weg und in den eigenen Rucksack gepackt und man sieht sich mit weiteren Bergen konfrontiert.
Vielleicht wäre die Beantragung von Bürgergeld eine Alternative. Dann erhält man das Geld vom Staat, weil man nicht arbeitet. Da ich hier sowieso schon mehr als weisungsgebunden wäre, würde das wenigstens der Definition entsprechen. Es zahlt derjenige mein Gehalt, der mir die Weisungen erteilt, wie ich mich zu verhalten habe.
Arbeiten, motiviert sein, die Steuern bereitwillig zu entrichten, sich korrekt zu verhalten - das alles scheint im Grunde nicht richtig zu sein. Also wozu?
Davon nicht betroffen?
Und wer jetzt der Meinung ist, dass davon nur kleine Fitnesstrainer, Tanzlehrer, Honorardozenten oder VHS-Kursleiter betroffen sein könnten, der irrt gewaltig.
Diese Kriterien gelten auch für tausende Gesellschafter von GmbHs, wie in einem Spiegel-Artikel zu lesen ist.
Der Spiegel schreibt:
„Tausende Gesellschafter von GmbHs in Deutschland denken, sie seien selbstständig, sind aber eigentlich abhängig beschäftigt. Die Konsequenz: Beitragsnachzahlungen in die Sozialversicherung. Mindestens für vier Jahre. Kann die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung einen Vorsatz nachweisen, sogar für 30 Jahre. Rechnet man die arbeitnehmer- und arbeitgeberseitigen Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung mit Berücksichtigung der aktuellen Beitragsbemessungsgrenzen zusammen, wären das inklusive Säumniszuschlägen auf die vier Jahre gerechnet etwas mehr als 110.000 Euro an Nachzahlungen pro Person. Entscheidend dafür, ob jemand als Gesellschafter einer GmbH in die Selbstständigkeit fällt, ist seine Rechtsmacht. Die Frage also: Kann die jeweilige Person das Unternehmen so führen, wie es ein selbstständiger Alleinunternehmer könnte? Ist das gegeben, gilt man nach Überprüfung des Sozialversicherungsstatus als selbstständig. Wird die Frage nach der Rechtsmacht nicht bejaht, droht eine Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge, weil man unter die abhängige Beschäftigung fällt.“
Angesichts der Summen ist klar. Heute besteht das größte unternehmerische Risiko darin, überhaupt zu arbeiten. Und da die entscheidende Frage lautet, ob man ein Unternehmen so führen kann, wie man es für richtig hält und dies in jedem Fall zu verneinen ist, da man dazu keinerlei Rechtsmacht hat, ist man in jedem Fall abhängig.
Und für die Abhängigkeit muss gezahlt werden, von Seiten derer, die einen abhängig machen!