Rebel-Management-Training denkt nach!

Nadine Rebel

Mit dem Körper sprechen

Oma hält Baby auf dem Arm

Von einem Kind erwartet man gemeinhin nicht, dass es funktioniert. Es ist ein Kind. Trotz, Widerspenstigkeit, Kinderkrankheiten, Schulprobleme, erster Liebeskummer, falsche Entscheidungen, Alpträume, Unvernunft. All diese Eigenschaften und Geschehnisse gehören zum Leben dazu. Als Mama, Papa oder sonstige Bezugsperson sind wir darüber selten begeistert, aber das Durchstehen solcher Phasen mindert die Liebe nicht. Mit unserem Körper gehen wir nicht so nachsichtig um, wenn er beliebt, einmal nicht zu „funktionieren“.

 

Erfahrungen aus dem BGM

Bei meinen Aufträgen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements kümmere ich mich um die (körperlichen) Alltagsbelastungen der teilnehmenden Personen. Die Allgemeinbaustellen sind oftmals typische Zivilisationskrankheiten: Verspannter Nacken, schmerzender (unterer) Rücken, Blockaden, Knorpelabnutzungen, verkürzte Brustmuskulatur, Rundrücken, vorfallende Schultern - und natürlich: Bandscheibenvorfälle. 

Auch die Erwartungshaltung der teilnehmenden Personen gleicht sich häufig: Der Arbeitgeber zahlt den Bewegungsworkshop, ich mache mit, danach sind meine Beschwerden weg.

Den Zahn ziehe ich sofort zu Beginn. Das funktioniert leider nicht.

Es funktioniert ebenso wenig wie die Trainingspläne, die mittels zweimaligen 20-minütigem Training pro Woche einen binnen 3 Wochen gestählten Körper versprechen.

 

Dennoch bleibt die Erwartung, dennoch kaufen sich Personen Apps, die derartiges versprechen.

 

Aber es tut weh

Fakt ist, dass der Alltag Schmerzen bereitet. Der Körper macht von sich aus nicht immer das, was langfristig sinnvoll ist. Er vermeidet gerne zusätzliche Anstrengung und kümmert sich nicht um das, was nicht gebraucht wird. Und weil er sich nicht kümmert, verkümmern diese Bereiche. Benötigt man sie dann doch, reagiert der Körper gerne beleidigt, oder er weigert sich, die Bereiche anzusprechen, die angesprochen werden sollen, einfach aus dem Grund, dass er keine Ahnung hat, was wir von ihm wollen, er trotzig reagiert oder er einfach vergessen hat, wofür die Bereiche gut sein sollen.

Seine Entgegnung auf alles für ihn Ungewohnte. Bäh! „Bäh“ - heißt körpersprachlich Schmerz oder Missempfinden. Er hat vorher schon nicht gewusst, was wir von ihm wollten, bei der Benutzung der angesprochenen Bereiche reagiert er trotzig und hinterher ist er beleidigt.

 

Ziel dahinter: Lass‘ es. Ich mag das nicht. Und wenn Du es doch von mir verlangst, dann siehst Du ja, was Du davon hast.

 

Und was tun wir: Wir geben diesem trotzigen Kleinkind Körper Recht. Wir lassen uns von ihm auf der Nase rumtanzen und vermeiden alles, was er zunächst einmal „doof“ findet.

 

Und hat der Körper erst einmal gelernt, dass er mit dieser Manier scheinbar immer seinen Kopf durchsetzen kann, bleibt er dabei.

 

Ich muss meinem schreienden Kleinkind an der Supermarktkasse Süßigkeiten kaufen, sonst brüllt es. Ich kann das Kind nicht zur Schule schicken, sonst ist es den ganzen Tag beleidigt.

Ich kann das Kind nicht zum Zähneputzen bewegen, sonst bekommt es schlechte Laune.

 

Kaum jemand würde eine solche Argumentation gelten lassen, weil fast jeder Person klar ist, dass der momentane Unmut und die in Unverständnis begründete aufkeimende Unlust nur temporäre Verstimmungen sind. Fast jeder Person ist klar, dass die langfristigen Folgen weitaus gravierender sein können, wenn man dem nachgibt, was das Kind im Moment will oder nicht will.

 

Beim Umgang mit dem eigenen Körper gilt „Schmerz“ als Totschlagargument. Wenn etwas weh tut, dann macht man es nicht, denn „Schmerz“ ist das untrügliche Zeichen dafür, dass es falsch ist.

 

Dabei ist Schmerz nicht gleich Schmerz und nicht jede Missempfindung kann als Schmerz definiert werden. Um diese zunächst etwas seltsamen Rückmeldungen des Körpers verstehen zu können, müsste man sich mit ihm auseinandersetzen.

Doch ein Körper hat zu funktionieren. Tut er das nicht, gibt man ihm entweder nach oder bringt die Symptome durch Schmerztabletten oder Unterlassung zum Schweigen.

 

Stress macht sich bemerkbar

Weint ein Kind in dem Moment, wenn es hinfällt? Nein.

Schmerz, die Bewertung der Situation, die Angst und leider auch manchmal die durch Traumata entstandenen Schäden setzen zeitverzögert ein.

 

So funktioniert auch unser Körper in belastenden Situationen und unter Stress erstaunlich gut.

Er erträgt das, was sein Besitzer von ihm möchte und funktioniert. Und der Körper wartet, bis sein Besitzer wieder etwas mehr Ruhe hat, um sich zu Wort zu melden. Und dann bricht der ganze Stress hervor. Der Körper schmerzt, der Bandscheibenvorfall ist da, die Neurodermitis erhält einen Schub, die Kopfschmerzen wollen gar nicht mehr vergehen.

 

Gerade jetzt, wenn man eigentlich entspannen wollte. Gerade jetzt, wo es doch ruhiger geworden war.

Der Körper ist aber auch nervig. Immer wieder will er etwas oder will etwas nicht.

Und anstatt ihn zu fragen, was denn los sei, bekommt er ein Eis gepaart mit der Forderung, dann aber bitte Ruhe zu geben und still zu sein. Sei ein braves Kind und nerve Mama nicht, okay? Du hast auch ein Eis bekommen.

 

Wir erwarten also von unseren Körpern, dass sie funktionieren, dass sie leise sind und dass sie sich nicht zu Wort melden, jedenfalls nicht kritisieren. Und wenn doch, dann bekommen sie eine Tablette und dann muss wieder Ruhe herrschen.

 

Wie würden wir Eltern nennen, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, sondern von ihnen erwarten, dass sie funktionieren müssen und dies still im Hintergrund tun.

So wie man sich mit Kindern auseinandersetzen muss, ihnen zuhören sollte, ihnen erklären sollte, warum man etwas möchte und warum sie andere Dinge unterlassen sollten, so sollte man sich auch die Zeit nehmen, diese Dinge dem eigenen Körper zu erklären.

 

Die kritischen Rückmeldungen des Körpers werden allerdings nicht selten als Affront gegen den Kopf verstanden, der nun einmal leider einen Körper benötigt, damit er durch die Gegend getragen werden kann. Was für eine Unverschämtheit des Körpers, eigene Bedürfnisse anzumelden. Vielleicht sollte man den Kopf abschrauben und auf einen neuen taufrischen Körper setzen?

 

Das 20 Jahre alte Essgeschirr

Häufig wird die Unfähigkeit, sich in irgendeiner Form körperlich zu betätigen, mit folgenden Gründen untermalt: Knorpelabnutzung, Arthrose, belastete Strukturen, Alter, im Kindesalter schon mal auf die Schulter gefallen oder Ähnliches.

 

Etwas, was benutzt wird, wird auch abgenutzt.

 

Ein Essgeschirr mit elegantem Dekor wird als spülmaschinenfest angepriesen. Es befindet sich in Gebrauch. Es wandert in die Spülmaschine. Dass dadurch das Dekor im Laufe der Jahre verblasst, dass der ein oder andere Teller vielleicht sogar Kratzer oder Macken aufweist, erscheint logisch. Dennoch hat das Geschirr nichts von seiner ursprünglichen Funktionsfähigkeit eingebüßt. Man kann immer noch von den Tellern essen, man sieht nur, dass sie nicht mehr neu sind.

 

Aber spricht das nicht für die permanente Schonung des Körpers? Hätte man den Körper, in Anlehnung an das oben gewählte Beispiel, nicht benutzt, dann wäre das Dekor noch wie neu.

Und hier hinkt das Beispiel, denn der Körper tut sich mit der Bewältigung täglicher Aufgaben sogar schwerer, wenn er permanent unterfordert ist.

Eigentlich ist unser Körper ein hochbegabtes Kind, welches man fälschlicherweise in eine Schule für Kinder mit Lernbehinderung gesteckt hat. Permanent unterfordert wird er nur noch aufsässiger.

 

Fördern, Fordern, liebhaben

Der Körper muss gefördert werden, er muss gefordert werden und man sollte ihn liebhaben. 
Dabei ist es wichtig, sich mit dem eigenen unverwechselbaren Körper, der einem geschenkt wurde, auseinanderzusetzen. Ein Mathegenie wird auch bei bester Förderung selten zur Primaballerina werden und ein Körper voller Lebenserinnerungen ist wie ein oftmals gelesenes wertvolles Buch, welches man nicht mit einem leeren Poesiealbum vergleichen darf.

 

Ein Bandscheibenvorfall wird nicht verschwinden, weil man ihn ignoriert. Ein Knorpelschaden lässt sich nicht einfach wegspritzen und die Alltagsbelastungen und damit einhergehenden einseitigen Belastungen, die ihrerseits wieder zu Fehlhaltungen führen können, lösen sich nicht einfach in Luft auf, weil man anfängt Körpergespräche zu führen.

 

Nichts tun ist allerdings keine Lösung.

 

Wenn man anfängt, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen, dann wird man feststellen, was er kann und was er nicht kann, wo seine Begabungen liegen und warum er manchmal so unheimlich bockig reagiert. Aber man muss ich Zeit nehmen.

Man lernt seinen Körper kennen wie sein Kind. Man erhält Einblick in den Charakter, kann begleiten, fördern, fordern, heilen, liebkosen, streicheln, in Ruhe lassen.

Jede Verhaltensweise ist wichtig, jede Verhaltensweise hat ihre Zeit.

 

Ein Kind von welchem immer nur gefordert wird, ist irgendwann überfordert. Ein Kind, welches man immer nur in Ruhe lässt, fühlt sich irgendwann nutzlos und verkümmert. Ein Kind, welches allein gelassen wird, kommt auf die seltsamsten Ideen.

Ein Kind, welches für jede Verhaltensweise belohnt wird, wird sich ebenso einseitig entwickeln, wie ein Kind, welches keinerlei Liebkosungen erfahren hat.

 

Kein Pädagogikratgeber

In meinen Seminaren und Einsätzen im betrieblichen Gesundheitsmanagement spare ich mir den pädagogisch erhobenen Zeigefinger. „Sie sollten“ - „Sie dürfen nicht“ - „Sie müssen“.

 

Es steht mir nicht zu, den Personen Vorschriften zu machen und es brächte meine teilnehmenden Personen nur zum Gähnen, wenn ich ihnen erkläre, dass sie Sport machen sollen, dass die Gelenksprobleme unter Umständen mit ihrem Übergewicht zusammenhängen und dass der Rundrücken, der sichtbar wird, mit der Zeit zum Buckel werden wird, der zu noch größeren Problemen führt.


Das wissen die Personen meist vorher schon.

Was ich mitgeben möchte, sind Dinge, die auch nicht immer gut schmecken:

Eine Fehlhaltung braucht meist Jahre, um sich zu manifestieren, sie wird nicht binnen einer Woche wieder verschwunden sein.

 

Eine Gelenksabnutzung oder ein Knorpelschaden lässt sich nicht wieder ausradieren, ist aber kein Grund, von jetzt an gar nichts mehr zu tun und zu hoffen, dass es besser wird.

 

Ein Bandscheibenvorfall tut weh, aber leider kann nur die Muskulatur die Wirbelsäule unterstützen. Keine Muskulatur, keine Unterstützung. Und ja, auch das Training der Muskeln kann anfangs mit Missempfindungen verbunden sein, die gemeinhin gerne mit Schmerz übersetzt werden, was wiederum der willkommene Grund für eine sofortige Einstellung irgendwelcher unter Umständen sinnvollen Aktivitäten ist.

 

Vom Mitleid werden Ihre Beschwerden auch nicht besser. Es ist also Ihre Entscheidung: Wollen Sie eine Verbesserung, dann arbeiten wir miteinander. Wollen Sie nur jammern, dann suchen Sie sich Gleichgesinnte, aber erwarten Sie bitte nicht, dass ihre Beschwerden gelindert werden.

 

Geduldsproben

Lassen Sie sich auf ihren Körper ein. Hören Sie ihm zu. Gestehen Sie ihm schlechte Laune zu und lassen Sie ihn auch mal trotzen, wie ein Kleinkind. Erklären Sie ihm, was Sie von ihm möchten, dosieren Sie ihre Tätigkeiten so, dass sie zum Charakter ihres Körpers passen und seien sie dankbar.

 

Ihr Körper verlässt sie nicht, er ist immer bei ihnen. Er funktioniert nicht immer so, wie wir uns das wünschen würden und manchmal spinnt er, wie ein Pubertier, aber er gehört zu uns, so wie Kinder in eine Familie gehören.

 

Und wie bei Kindern auch, hört das Kümmern und das Interesse nicht auf, wenn sie erwachsen sind und so sollte auch das Kümmern und das Interesse am eigenen Körper nicht aufhören, nur weil er „volljährig“ ist.

 

Und deshalb gefällt mir die Endsequenz im Yoga so gut: Und mit der nächsten Ausatmung, bedankt Euch bei Euch selbst, bei der Leistung Eures Körpers und bei allen im Raum anwesenden Wesen!

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