Nadine Rebel
Es kann sein, dass aus mir der Neid der Besitzlosen spricht. Als Kind hätte ich mir gewünscht, mich angenommen zu fühlen. Einfach so. Nur, weil ich da bin. Zuneigung, Anerkennung und Liebe waren allerdings immer untrennbar mit Leistung und Folgsamkeit verbunden. Wer etwas leistet, hat Anerkennung verdient. So weit, so gut. Jedes Kind hat Liebe verdient, bedingungslose Liebe. Heute kommt es mir so vor, als ob Anerkennung und Liebe nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden, sondern zu einer manchmal unheilvollen Melange verkommen. Fehlende Anerkennung muss nicht fehlende Liebe bedeuten und Liebe bedeutet auch nicht, alles zu loben und hochzujubeln, wenn es nichts zu loben gibt.
Liebe ist bedingungslos
Gerade die Bedingungslosigkeit aufrichtiger Liebe kann mitunter Leid verursachen. Man hält der anderen Person die Treue, man braucht sie, weil man sie liebt. Man liebt sie nicht, weil man sie braucht. Das kann bei Partnerschaften toxisch sein, für eine Eltern-Kind-Beziehung ist es ein Grundpfeiler, auf dem die Seelenruhe des kleinen Menschen fußt. Urvertrauen hängt stark mit bedingungsloser Liebe zusammen. Und zu Anfang eines neuen Menschenlebens ist es unabdingbar, dass man die Zuneigung und Liebe nicht an Bedingungen knüpft. Die kleinen Wesen können noch nichts leisten, sie müssen nicht funktionieren und sie sind voller Defizite. Das ist normal. So besteht die Hauptaufgabe der Eltern, oder der Personen, die diese Rolle übernehmen, zu Beginn auch darin, einfach nur jedes Bedürfnis zu stillen und immer da zu sein. Pflege, Liebe und Zuneigung ohne Gegenleistung. Das ist bedingungslose Liebe, die im Idealfall mit Liebe und Zuneigung vergolten wird. Es muss allerdings nichts vergolten werden, es ist einfach so.
Weitere Begleitung
Als ich selbst Mutter wurde, hatte ich unheimliche Angst vor dieser Verantwortung. Wie nur soll ich wissen, was das kleine Wesen möchte? Wie kann ich seinen Bedürfnissen gerecht werden? Wie verhindern, dass das kostbare Wesen Schaden nimmt? So klein, so zerbrechlich, so unendlich wertvoll.
Meine Aufgabe sah ich allerdings auch immer darin, diese Wesen zu sozialisieren, sie auf diesem Wege zu begleiten. Sozialisation als Prozess der Einordnung des heranwachsenden Individuums in die Gesellschaft. Sozialisation als Übernahme gesellschaftlich bedingter und akzeptierter Verhaltensweisen. Sozialisation als Vermeidung unangepassten Verhaltens.
„Tu dies nicht und lass‘ das“. Sätze, die niemand gerne hört und kaum jemand gerne ausspricht.
Es geht nicht darum, die eigene Macht auszuspielen oder auszunutzen. Vielmehr möchte man, dass das Kind sich in die Gesellschaft integrieren kann, ohne dabei die eigene Persönlichkeit zu verlieren. Dazu muss die Persönlichkeit entwickelt werden.
Grenzen setzen
Und wenn man anfängt, Grenzen zu setzen, dann gibt es Reibungspunkte. Man verliert die unbedingte Anerkennung der heranwachsenden Wesen, weil man „blöd“ wird. Man verbietet und erlaubt, man erklärt und verhandelt, man versucht Werte mitzugeben und Werte vorzuleben, ohne zu wissen, ob der andere Mensch diese Werte überhaupt für sich selbst annehmen möchte.
Durch dieses Verhalten stößt man sich als Elternteil vom Thron, den einen die Kleinen errichtet haben. Türen knallen, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte entstehen. Aber auch das gehört zu einer Gemeinschaft und zu einer Gesellschaft. Konfliktvermeidung und einhellige Meinungen verhindern die Entwicklung. Spaß macht das im jeweiligen Moment keiner der beteiligten Personen.
Später werden Werte vom Tisch gewischt und zunächst einmal eventuell durch gar keine neuen Werte ersetzt. Hauptsache dagegen. Pubertät. Die Zeit, in der Eltern anfangen (wirklich) schwierig zu werden.
Den pubertierenden Wesen sagt man nach, es wären Kleinkinder mit Hormonen.
Später werden die Werte von der älteren Generation überdacht und von der jungen Generation teilweise zurückgeholt. So funktioniert die Entwicklung einer Gesellschaft. Altes muss weichen, Neues darf entstehen.
Anerkennung setzt Erkennbares voraus
Die oben beschriebene bedingungslose Liebe bleibt. Sie ist das Fundament der Beziehung, welches diese durch alle Phasen trägt. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass es in den letzten Dekaden modern geworden ist, seitens der älteren Generation/ der Eltern gar nichts mehr zu verlangen oder zu fordern. Das Kind existiert´ und ist das Wertvollste auf der ganzen Welt. Stimmt soweit. Ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass das Kind nichts mehr leisten muss. Man kann ein Kind bedingungslos lieben und dennoch falsch finden, wie es sich verhält. Man kann das sogar kommunizieren. Und am Fehlverhalten kann durchaus das geliebte Kind schuld sein. Und wenn dem so sein sollte, dann muss es Verantwortung übernehmen. Auch das sah‘ ich als Aufgabe der Eltern an: Feedback geben, Lösungs- und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, Hilfe anbieten, damit es beim nächsten Mal besser und allein von statten geht. Ich sehe es nicht als Aufgabe von Eltern an, die Kinder immer vor allem zu bewahren, sie unter keinen Umständen damit zu konfrontieren, dass alle Menschen, auch die geliebten Kinder, Fehler machen und die Schuld immer bei den anderen zu suchen.
Das, was ich als normal erachtete, scheint sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt zu haben.
Das Kind ist grundsätzlich immer perfekt. Es muss nichts leisten und niemals zurückstecken. Es wird gelobt, wo es nichts zu loben gibt. Es erntet Anerkennung, wo keine Anerkennung notwendig ist. Es ist der Nabel der Welt. Und ich glaube, ein paar Ergebnisse dieser Erziehung sehen wie im Moment in verantwortungsvollen Positionen in der Politik.
Die Fehler der Eltern
Ich habe keine Ahnung, ob ich meine Kinder „richtig“ erzogen habe. Natürlich sind meine Kinder wundervoll und ebenso natürlich bin ich stolz auf die beiden mittlerweile erwachsenen beeindruckenden Menschen. Aber das sagt jedes Elternteil.
Mitunter haben mir meine beiden erwachsenen Kinder schon das ein oder andere Mal mitgeteilt, was sie als falsch empfunden haben. Das jüngere Kind, welches mehr und das auch noch früher durfte als das ältere Kind – angemahnt vom älteren Kind. Strenge, wo ihrer Meinung nach ein bisschen mehr Weichheit gereicht hätte. Ungerechtes Verhalten ihnen gegenüber, wo ich doch im Grunde nur auf mich selbst sauer war und meine Kinder als Ventil missbraucht hatte.
Stimmt.
Auch das halte ich für normal. Gerne hätte ich diese Fehler nicht gemacht, aber ich übernehme die Verantwortung dafür und kann das Rad nicht zurückdrehen. Die Bewertung von Verhalten liegt im Auge des Betrachters. Was ich als gut erachtete, kam im ein oder anderen Fall eben anders an.
Deswegen sind die Charaktere meiner Kinder andere als meiner. Sie sind eigenständige Wesen mit eigenen Meinungen, eigenen Wünschen und eigenen Vorstellungen. Und das ist gut so. Kinder, die der Abklatsch ihrer Eltern werden, braucht keiner.
Egomanen und Narzissten
Wenn ich mir einige, bei weitem nicht alle, junge erwachsene Menschen heute ansehe, dann frage ich mich, ob ihr Verhalten vielleicht etwas mit der permanenten grundlosen Überhöhung ihres Daseins zu tun hat. Es gibt so viele tolle junge Menschen. Junge Leute, die wie selbstverständlich so vieles tun und können, wovor man nur den Hut ziehen kann. Doch es gibt auch die anderen, die der Meinung sind, die Welt hat sich um sie zu drehen. So sind sie erzogen worden. Läuft etwas nicht nach ihrem (dummen) Plan, dann sind die anderen schuld.
Man muss nichts leisten, um Anerkennung zu bekommen und wenn man sich nicht an Regeln halten will, dann müssen die Regeln abgeschafft werden.
Bildung, Ausbildung, Leistung und Durchhaltevermögen? Überbewertet. Daran kann der Wert eines Menschen nicht gemessen werden. Obwohl das stimmt, bedeutet es aber doch nicht, dass man auf diese Eigenschaften komplett verzichten kann.
Meine Jugend habe ich geopfert
Einige dieser Prinzen und Prinzessinnen (m, w, d) dürfen heute erwachsenen Menschen vorschreiben, was diese tun und lassen dürfen. Sie sind sich nicht zu schade, Verzicht zu fordern, auch wenn sie optisch eher nach Völlerei und Überfluss aussehen. Sie jammern mit knapp über 20, dass sie die Jahre ihrer Jugend für die Bevölkerung „geopfert“ hätten und drangsalieren mit Regelungen, die sie selbst nie anerkannt hätten.
Sie zerstören Kulturgüter, weil sie auf sich aufmerksam machen wollen. Sie verhalten sich, als ob man ihnen nie erklärt hätte, dass das eigene Verhalten Folgen haben kann.
Irgendwie verständlich, wenn man mit dem Glaubenssatz erzogen wurde, dass man machen kann, was man will und dass es an den anderen liegen würde, wenn das Verhalten nicht auf Gegenliebe stößt.
Sind diese Menschen noch in der Pubertät? Kleinkindern mit Hormonen? Oder ist ihre geistige Entwicklung im Trotzalter des „Ich will aber“ Modus steckengeblieben?
Lösungen
Nein, ich habe keine Lösungen zu bieten. Vielleicht würde ein wenig Empathie auf seiten derer, die immer nur fordern, helfen? Ich weiß es nicht. Aber mit meinen Zeilen werde ich die Welt nicht verändern, das habe ich auch nie beansprucht. Meine Beiträge entstehen, weil ich meine Gedanken aufschreibe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.