Nadine Rebel
Es gibt vieles, was unerträglich ist und was man doch ertragen muss, wenn man daran nicht zerbrechen will. Manchmal hilft nur Humor. Nur mit Humor ist die Last zu ertragen. Humor verkehrt das Unerträgliche ins Lächerliche. Er versucht es zumindest. Das gelingt nicht immer und so sind manche Witze, einfach nicht witzig, nur geschmacklos. Doch kaum jemand, der nicht schon humoristisch das Terrain des guten Geschmacks verlassen hat. Bosetti und Böhmermann werden sogar dafür bezahlt.
Blinddärme und Ratten
Wenn jemand als Hofnarr eingestellt wird, darf er sich auch Humor fernab des guten Geschmacks erlauben. Wenn jemand bei Hofe ist und am Stuhl der Majestäten sägen könnte, dann ist das nicht erlaubt.
Das muss man wissen, um sich mit schlafwandlerischer Sicherheit auf dem dünnen Eis der heutigen medialen Gesellschaft bewegen zu können. Denn eines ist klar, wenn die Personen fallen, die man gerne am Boden sehen würde, dann wird nachgetreten, nicht aufgeholfen.
Vor Schamesröte im Boden versinken
Ich erinnere mich an eine Begebenheit, als man sich nach den Weihnachtsferien im Kreise der Dozentenkollegen (m, w, d) über die Feiertagsaktivitäten ausgetauscht hatte. Ich erklärte, man hätte mit der Familie „bis zur Vergasung“ Karten gespielt und erntete betretenes Schweigen.
Mein geschätzter Kollege erklärte mir, dass ich das nicht sagen dürfe. Dieser Ausdruck würde sich auf Schandtaten in den Konzentrationslagern beziehen.
Ich glaubte ihm und schämte mich in Grund und Boden. Noch nie hatte ich auch nur daran gedacht. Seither habe ich diesen Ausdruck - soweit ich mich erinnern kann und mein Erinnerungsvermögen ist meines Erachtens besser als das mancher Politiker - nie wieder verwendet.
Falsch gedacht
Der Kollege irrte allerdings. Nun, er sprang gerne hilflosen Damen zur Seite, da diese ritterlichen Beistand benötigten, um ihre Frauenrechte zu bekommen, von denen sie nicht in der Lage waren, diese selbst durchzusetzen. Gefragt, ob eine Dame seine Hilfe brauchen oder wollen würde, hat er dabei nie. Aber damit konnte frau klarkommen. Innerliches Lächeln und Augenzwinkern, den Kollegen machen lassen und sich nicht weiter darüber echauffieren.
Insofern dachte ich nicht darüber nach, ob er hier irren könnte, versuchte auch nicht mich zu rechtfertigen, nahm es hin und schämte mich brav.
Dabei hätte er wirklich glänzen können. Denn der Ausspruch „bis zur Vergasung“ hat gar keine Nazivergangenheit. Vielmehr bezieht er sich auf die Chemie.
„Bis zur Vergasung
Als angeblicher Nazi-Ausdruck war die Wendung jahrzehntelang verpönt, obwohl sie spätestens von den Chemikern des 18. Jahrhunderts verwendet wurde. Sie bezeichneten damit die Änderung des Aggregatszustands fester Stoffe, die unter großer Hitze vergasen. Dass man in Hitze gerät, wenn man sich bei etwas besonders anstrengt oder es besonders intensiv tut, ist ebenfalls altbekannt und in vielen Redewendungen formuliert worden. Man denke nur an „in der Hitze des Gefechts“ oder „sich die Köpfe heiß reden“.
Soll man nun die Redensart vergessen, weil man sie auf den systematischen Massenmord der Juden mit Gas des „Dritten Reichs“ beziehen könnte? Wie steht es mit Jedem das seine und Arbeit macht frei, alten Sprichwörtern, die an den Toren von KZs zu lesen waren? Wenn man dann noch erfährt, dass Häftlinge in die Balken der KZ-Baracken die an diesem Ort widerlich zynischen Sprüche Reden ist Silber, Schweigen ist Gold und Leben und leben lassen einschnitzen mussten? Soll man den Nazis den Triumph lassen, indem man sich die Worte verbietet? Die Antwort liegt, finde ich, bei jedem selbst.“
Auch hier irrt der Autor. Die Antwort liegt heute eben nicht bei jedem selbst. Sie liegt bei den Medien, sie liegt bei den Gegnern, sie liegt bei den Widersachern. Und wehe, wenn sie losgelassen, dann kann man nur noch die Flucht ergreifen. Das möchten die Gegner meist auch.
Karrieren zerstören
Vor vielen Jahren habe ich mit zwei Teilnehmerinnen für einen Show-Auftritt geprobt. Mittels Tanzes sollten 2 unterschiedliche Charaktere dargestellt werden, man entschied sich für Pink Panther und den Detektiv.
Die Kostüme wurden geschneidert und es wurde geprobt. Zum Kostüm des Detektivs gehörte auch ein Schnurrbart. Man bestellte einen ganzen Satz von Klebebärtchen in unterschiedlichen Formen, wohl wissend, dass man nicht jede Form des Schnurrbarts verwenden wollte.
Um sicher zu sein, dass der Schnurrbart auch während der anstrengenden Performance hält, wurde gegen Ende der Proben mit einem solchen angeklebten Schnurrbart geübt. Und auf der Palette der vorhandenen Schnurrbartformen gab es auch die kleinen Bärtchen, die man nicht verwenden will.
Für eine Probe und zum Entsorgen nach dieser kam also diese Form gerade recht.
Und so hatte ich eine leicht bekleidete Dame in der Probe, die ein bestimmtes Bärtchen angeklebt hatte und mit ihrer eigenen Leistung während der Probe nicht zufrieden war. Diesen Umstand quittierte sie mit einem lautstarken wohl bekannten Tonfall: „Das ist aber doch nicht schön!“
Wir mussten alle schallend lachen. Der Schnurrbart, die Aussage, die Intonation und die Stimme, alles war so klar parodierend, dass wir uns vor Lachen die Bäuche halten mussten.
Die Dame hatte und hat einen „normalen“ Beruf. Sie arbeitet an einer Universität.
Sollte ich diese Geschichte aufbewahren, falls ich ihr mal etwas Böses will?
Abgesehen davon, dass ein solches Verhalten stil- und niveaulos wäre, kommt die Absurdität dazu.
Steinewerfer
Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Sollte auch dieser Ausspruch einen Hintergrund haben, der böse ist und von dem ich nichts weiß, dann kann ich mich nicht erinnern, diese Zeilen geschrieben oder verwendet zu haben.
Falls man den Ausspruch doch verwenden darf, dann frage ich mich, ob der Ausspruch bisher von mir vollkommen falsch verstanden wurde.
Ich dachte bisher, er würde sinnbildlich dafür verwendet werden, den Anklagenden zu mahnen, zuerst vor der eigenen Tür zu kehren, den Balken/ das Brett vor dem eigenen Kopf zu erkennen, bevor man sich anschickt, andere zu verurteilen.
Wahrscheinlich ist der Sinnspruch anders gemeint. Anstatt vor Vorverurteilungen zu warnen, mahnt er etwas anderes an: Wer mit Steinen wirft, braucht ein Bollwerk. Wer mit Steinen wirft, muss sich sicher sein, dass er selbst gut genug geschützt ist. Dann ist Steinewerfen in Ordnung.
Paul, Anne und Schindler
Ich dachte auch, dass man die wertvolle und notwendige Aufarbeitung des dunklen Kapitels der Geschichte durch Kunst, Kultur, Literatur, Gedichte und vieles mehr mit der Zielsetzung betrieben hätte, zum einen zu sensibilisieren, zum anderen aber auch, die Mechanismen deutlich zu machen, die zu einer solch schändlichen Entwicklung geführt haben.
Die Todesfuge von Paul Celan, das Tagebuch der Anne Frank, Schindlers Liste.
Kein Stück, welches mich nicht tief berührt hätte. Kein Werk, was mich nicht wieder und wieder zu Tränen rührt und schmerzt. Für diese Aufarbeitung bin ich dankbar.
Ich dachte, dass hinter der Aufarbeitung das Ziel stünde, solch Verhalten nie wieder in irgendeiner Weise aufkommen zu lassen. Niemals wieder Menschen ohne Grund und ohne Beweis zu diffamieren, sie auszuschließen und vieles mehr.
Heute weiß ich: Die Aufarbeitung diente nur dazu, jede Person, die auch nur ein einziges Mal einen Witz über etwas gemacht hat, was definitiv nicht zum Lachen ist, auch Jahrzehnte später in einer Art und Weise damit konfrontieren zu können.
Vielleicht sollte man auch das Kapitel der Hexenverfolgungen wiederholen.