Nadine Rebel
Als ich vor über 20 Jahren in der Erwachsenenbildung anfing, wollte ich als Newcomerin alles „richtig“ machen. Nicht wenige Auftraggeber (m, w, d) machten Können an der Fähigkeit mit möglichst vielen Medien auf einmal umzugehen, fest. Beamer, Laptop, Flipchart, Pinnwand, Mindboard, Whiteboard, Rollenspiele, Kameraaufzeichnungen, erlebnispädagogische Inhalte, umfangreiche Handouts. Nur wer alles liefern konnte, hatte die Chance, als guter „Trainer“ angesehen zu werden. Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden selten gefragt. Es hat lange gedauert, aber heute habe ich mich davon verabschiedet. Meine Seminare kamen immer gut an, heute haben sie mehr (eigenen Stil).
Die PPP
PPP steht für Power Point Präsentation. Mit der Zeit wurden diese besser, am Anfang waren sie einfach nur schrecklich. Jede Möglichkeit wurde genutzt. Das eine Chart fliegt von rechts unten ein, das nächste bildet sich langsam ausverschwommenen Pixeln, wieder das Nächste wird mit einem Geräusch eingespielt.
Zu Beginn dieser visuellen Unterstützungsmöglichkeit hat so ziemlich jeder alles genutzt.
Natürlich nur für sehr kurze Zeit, aber wenn ich selbst daran zurückdenke, kommt es mir fast wie ein Berufstrauma vor.
Furchtbar. Nun, was soll ich sagen? Ich war jung und brauchte das Geld?
Heute brauche ich nur noch das Geld, aber solche PPP gibt es bei mir nicht mehr. Meistens gibt es gar keine mehr.
Der Beamer
Kaum ein anderes Gerät, welches stärker in der Lage ist, den Fokus der Seminarleitung, der dozierenden Person von den Menschen ab-, und einem toten Medium zuzuwenden.
Nach wie vor habe ich mich noch nicht ganz von der Vermutung losgelöst, dass Beamer ein Eigenleben führen.
Jedes „Warum“ birgt die Gefahrt, sich sofort der Technik zuzuwenden. Man bat die anwesenden Personen um Verzeihung und beschäftigte sich mit der Technik.
Es muss doch funktionieren. Der Stresspegel erhöht sich im gleichen Maße wie die Unruhe im Raum und jeder Fluss eines guten Austauschs wird dadurch zerstört. „Schnell“ bekam man selten etwas wieder zum Laufen. Diese – für mich heute – unnötige Konzentration auf die Technik statt auf die Menschen, fühlte sich falsch an. So reduzierte ich den Einsatz von Technik nach und nach und Stück für Stück. Ich denke, das konstruktive Miteinander in einem Seminar ist wichtig als Bilder an der Wand.
Medienkompetenz
Medienkompetenz war das Wort, nach welchem man bei manchen Bildungsträger und Unternehmen beurteilt wurde. Im Vorfeld oder spätestens im Feedbackbogen musste man entweder selbst angeben, oder dies sollten die teilnehmenden Personen wahrheitsgemäß ausfüllen, welche Medien im Seminar zum Einsatz gekommen waren. Je mehr, desto besser.
Je mehr Medien, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Seminar überfrachtet, dass es noch mehr technische Sollbruchstellen gibt und dass man die teilnehmenden Personen noch mehr aus den Augen verliert.
Schluss damit.
Das Handout
Viel hilft viel. 20 Seiten, 50 Seiten, 80 Seiten. Ähnlich wie bei der oben beschriebenen Medienkompetenz wurde mit dem Handout verfahren. Gut, das Handout war in vielen Fällen einfach nur die ausgedruckte PPP, das macht die Sachlage aber nicht besser.
Wobei ich Auftraggeber hatte, die 2 Skripts wollen: Ein seminarbegleitendes und ein seminarnachbereitendes Skript. Beide ungefähr im gleichen Umfang.
Fakt ist, dass kaum ein Teilnehmer (m, w, d) das Handout braucht. Spätestens nach dem Seminar landet es in der großen Ablage „A“. Manchmal direkt am nächsten Tag, manchmal erst ein halbes Jahr später. Ein Handout als Nachschlagewerk benutzen, sich später nochmals damit auseinandersetzen – dafür fehlt im daily business einfach die Zeit.
Heute gibt es in meinen Seminaren eine kurze Zusammenfassung von 5 bis maximal 10 Seiten.
Es tut Menschen gut, wenn sie etwas anfassen können, wenn eigene Notizen gemacht werden können. Es ist wichtig, die Gedanken zu Papier zu bringen, aber man muss kein Bibelseminar kreieren.
Ganz nebenbei hat das auch etwas mit Umweltschutz und Ressourcenschonung zu tun.
Die Teilnehmer (m, w, d)
Von den teilnehmenden Personen wird erwartet, dass sie mitspielen. Generell immer und natürlich besonders in den allseits überaus beliebten Rollenspielen, die irgendwie untrennbar zu jedem „guten“ Seminar zu gehören scheinen. Frage – Antwort. Rollenspiel. Selbstkundgabe. Warten auf korrekte Antworten. Lob vom Dozenten. Prima.
Die meisten Rollenspiele funktionieren nicht. Hätten die teilnehmenden Personen Schauspieler werden wollen, würden diese wahrscheinlich jetzt nicht in meinem Seminar sitzen.
Es ist anstrengend. Für die teilnehmenden Personen und für die Seminarleitung. Es macht keinen Spaß. Und? Die Teilnehmer befinden sich in einer Fortbildung, nicht im Kabarett. Nun ja, manchmal bin ich mir nicht so sicher.
Die Zeit
Gut ist, was lange dauert. 2 Tage Fortbildung. 3 Tage Fortbildung. Eine ganze Woche.
Um dies erträglich zu machen, findet die Fortbildung in einem großartigen Hotel statt.
Jeder Seminartag zieht sich und wird nur durch Frühstücksimbiss, Mittagessen, Nachmittagskaffee unterbrochen. War noch ein Rest Aufmerksamkeit vorhanden, wird dieser durch das einsetzende Esskoma zunichte gemacht.
Essen beruhigt. Essen versöhnt. Essen ist ein Alibi für eine Pause.
Obwohl demnach von der Organisation viele Pausen vorgesehen sind, wird dennoch spätestens in der Mittagspause die Frage gestellt, ob man nicht „früher“ Schluss machen könnte.
Es wäre so anstrengend, man müsste noch wichtige Telefonate erledigen, man hätte ja noch 1 bis 4 weitere Tage.
Nun ist die Diplomatie des Dozenten gefragt. Geht er/sie/es nicht auf diese Bitte ein, kippt die Stimmung. Nicht gut. Man braucht die Teilnehmer. Man braucht zumindest das Wohlwollen einiger, sonst wird das Seminar zum Spießrutenlauf.
Geht er auf die Bitte ein, stellt sich die Frage, wie man den ganzen Seminarplan, der doch so haarklein ausgetüftelt war, so einfach über den Haufen werfen kann.
Nein. Einfach nicht diese Frage stellen.
Weiß doch sowieso jeder, dass von den Inhalten, die hier durchgenommen werden, kaum etwas hängen bleiben wird.
Wir stehen das gemeinsam durch, am Ende gibt es ein Zertifikat und alle sind zufrieden.
War der Dozent (m, w, d) nett, bekommt er eine gute Bewertung.
Arbeit, die liegen bleibt
Je länger ein Seminar dauert, umso größer wird der Berg an Arbeit, der später von den teilnehmenden Personen abgearbeitet werden muss.
Wenn die Personen in ihr Unternehmen zurückkehren, sollen diese 2 Dinge erledigen.
· Erstens soll das neu gelernte Wissen, das neu erfundene Rad sofort in den Arbeitsalltag integriert werden,
· Zweitens soll die liegengebliebene Arbeit schnellstmöglich erledigt werden.
Der Transfer in den Arbeitsalltag
Als Dozentin habe ich selbstverständlich wenig Ahnung von den tatsächlichen Herausforderungen der teilnehmenden Personen. Ihr Arbeitsalltag sieht anders als der meinige aus. Ohne zu wissen, wie sie das Wissen, welches ich ihnen gerne vermitteln möchte, tatsächlich im Unternehmen umsetzen können, sollte ich aber dennoch von Feedbackkultur, wertschätzender Atmosphäre, Entschleunigung, Selfmanagement und mehr reden.
Dass sich teilnehmende Personen so nicht besonders wertgeschätzt fühlen und der Transfer in den Arbeitsalltag nach erfolgreich abgesessenem Seminar selten überhaupt angestrebt wird, ist verständlich.
Also habe ich auch das geändert. War gar nicht so schwer. Fragen und Zuhören und dann das Seminar ad hoc anpassen. Ja, während des Seminars.
Ich mag das nicht
So habe ich in den letzten Jahren angefangen, mich als Dozentin von diesen Ansprüchen loszusagen.
Funktioniert das?
Für die teilnehmenden Personen schon. Ich werde kaum gefragt, ob wir früher Schluss machen können. Wir gestalten etwas gemeinsam und arbeiten wirklich gut und engagiert. Das macht mir Freude und den teilnehmenden Personen auch.
Die Krux
Doch leider entscheide meist weder ich noch die teilnehmenden Personen, ob und durch wen ein Seminar durchgeführt wird. Das entscheidet eine andere Ebene. Und hier werden Personen benötigt, die soweit experimentierfreudig sind, dass sie es ausprobieren.
Das Ergebnis zählt
Ich bin Trainerin mit Leib und Seele. Im Sport und im Seminarbereich. Wenn ich das Gefühl habe, etwas Sinnvolles beitragen zu können, fühle ich mich mit meinem Beruf wohl. Der Wohlfühlfaktor wird von den teilnehmenden Personen generiert. Sie sind die direkten Kunden meines Seminars, sie müssen einen Mehrwert darin sehen.
So lange die Menge an Medien, das Seminarhotel oder die Dauer des Seminars Maßstäbe bleiben, an denen die Qualität einer Weiterbildung gemessen werden soll, ist die Überzeugungsarbeit im Vorfeld nicht unbedingt einfach.
Ich habe es erlebt:
· Weiterbildung kann kurz und knackig sein.
· Weiterbildung kann Spaß machen.
· Weiterbildung kann die unterschiedlichsten Teilnehmer in den Mittelpunkt stellen.
· Weiterbildung kann etwas bewirken.
Meinen Weg, das weiterhin zu gewährleisten, habe ich durch den Abschied von konventionellen Ansprüchen gefunden.