Nadine Rebel
Wenn man sich in etwas verbeißt, dann kann man es nicht schlucken. Man kann es nicht aufnehmen, man kann es nicht zerkleinern, man kann das Nahrhafte, was in dieser Sache stecken könnte, nicht nutzen. Man hält es an Ort und Stelle, die Muskulatur verkrampft und fängt an zu schmerzen, man kann sich nicht mehr ausdrücken, man kann sich nicht mehr bewegen, man kann sich nicht mehr verändern. Aber wo hört Ehrgeiz auf und fängt Verbissenheit an und wie kann man sich selbst in derartigen Situationen entkrampfen?
Ehrgeiz
Ehrgeiz wird als ein stark ausgeprägtes Streben nach Erfolg, Geltung und Anerkennung definiert. Interessant dabei finde ich, dass das, was man mit Ehrgeiz erreichen möchte, häufig von der Interpretation anderer abhängig gemacht wird, zumindest, wenn man der Definition folgt.
Das bloße Vorhandensein von Ehrgeiz wird häufig als positive Eigenschaft gesehen und mit Leistungsbereitschaft und der Fähigkeit, die eigenen Komfortzonen zu verlassen, gleichgesetzt.
Ehrgeiz ist das wummernde Wissen, das man mehr erreichen kann als man meint, dass man dafür Kraft und Durchhaltevermögen benötigt und dass man bereit ist, diese Eigenschaften an den Tag zu legen.
Erfolg, Geltung und Anerkennung
Erfolg ist das positive Ergebnis einer Bemühung. Das Wort „Geltung“ wird seinerseits durch zahlreiche andere Eigenschaften erklärt: Beachtung, Anerkennung, Wertschätzung, Ruhm, Macht und Status.
Ruhm, Macht und Status sind untrennbar mit der Gesellschaft, in der man sich bewegt, verbunden. Die Gesellschaft verleiht einer Person Berühmtheit und Macht und nur im gesellschaftlichen Zusammenhang lässt sich Status definieren.
In „Anerkennung“ wiederum steckt das Wort „kennen“. Man kann die Leistung eines Menschen also nur anerkennen, wenn man den Menschen, seine Geschichte, seine Beweggründe und seinen Charakter zumindest ein wenig kennt.
Was für den einen ein Erfolg ist, ist für den anderen kaum der Rede wert und umgekehrt. Es kommt auf die Lebensgeschichte an.
So muss die Person, die Anerkennung bekommen will auch bereit sein, etwas von sich preiszugeben, einen Blick in ihr Inneres zuzulassen, damit man sie kennenlernen kann.
Man wird demnach keine Anerkennung von Menschen bekommen, die einen nicht kennen. Status und Macht unter Umständen auch, aber Anerkennung?
Man kann es schaffen, sich im gesellschaftlichen Kontext Geltung zu verschaffen. Reichtum gilt hierzulande etwas. Einfluss auch.
Aber ist ein Mensch, der keinen Reichtum vorweisen kann und dessen Einfluss auf den ersten Blick klein zu sein scheint damit automatisch erfolglos?
Oft erscheint es so.
Hunger
Und so kann der Hunger nach Geltung und Anerkennung von Menschen, die man nicht kennt, die man vielleicht auch gar nicht kennen möchte und die ihrerseits kein Interesse haben, den Menschen hinter der Person kennenzulernen, zu einer Starrheit führen, die in Verbissenheit endet.
Hunger ist das Bedürfnis nach Nahrung. Nahrung, die aufgenommen werden muss. Nahrung, die man aktiv zu sich nehmen muss. Nahrung, die im Supermarkt bleibt, Nahrung, die einer anderen Person zur Verfügung gestellt wird oder Nahrung, in die man sich verbeißt, statt sie zu zerkleinern und aufzunehmen, wird einen immer hungrig zurücklassen.
Verbissenheit
Wenn man sich in eine Sache verbeißt, spannt man die Muskulatur an. Um in der metaphorischen Erklärung zu bleiben, kann man sich dann nicht mehr ausdrücken, man kann nicht mehr reden, man kann sich nicht mehr mit anderen Menschen austauschen und man kann vor allem eines nicht mehr: Lachen!
Humorlos und verkrampft ist man so auf der Suche nach Anerkennung, während man nichts mehr von sich preisgeben kann, nicht mehr lacht und immer hungriger wird.
Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen und Engagement sind Geschwister der Verbissenheit. Doch bedeutet Beharrlichkeit eben auch, dass man unter Umständen geduldig ausharrt und abwartet. Durchhaltevermögen setzt voraus, dass man etwas hat, woran man festhalten kann, und Engagement ist mit einer tiefen Leidenschaft und Liebe verbunden. Wer verbissen wirkt, schadet der eigenen Liebenswürdigkeit.
Und wenn sich die Liebenswürdigkeit verabschiedet, verabschieden sich unter Umständen auch die Menschen, die einen bis hierher begleitet haben und die man doch für die Anerkennung braucht. Das kann den Beginn eines Teufelskreis darstellen.
Wie kann man erkennen, ob man für etwas leidenschaftlich kämpft, oder sich schon in eine Sache verbissen hat? Wie kann man sich von der Sache, die man mit Biss angehen möchte, ernähren, wie kann man satt werden?
Warnsignale
Ehrgeiz und Engagement, Rast- und Ruhelosigkeit können Strahlen einer inneren wärmenden Sonne sein. Wenn man für sich feststellt, dass man nicht mehr bereit ist, vom angedachten Wege auch nur einen Millimeter abzuweichen, wenn man sich festgefahren fühlt und innerlich immer härter wird oder sogar werden will, weil man meint, nur so sein Ziel erreichen zu können, dann mutiert der Ehrgeiz zum Monster. Man treibt sich immer weiter an, man ist der Meinung, dass man nur mehr investieren muss, damit es klappt und ist bereit dazu. Man investiert. Geld, Zeit, Mühe. Man nimmt Schmerzen hin und verkrampft sich immer mehr.
Kann man das selbst sehen? Oftmals ist es nicht möglich, einen derart abgeklärten Blick auf die eigene Person zu werfen. Dafür steht man sich selbst zu nahe und gleichzeitig nicht genug neben sich, als dass man einen Schritt zur Seite tun könnte, um sich selbst von außen zu betrachten.
Der Blick auf die eigene Person gelingt häufig nur durch einen Spiegel. Freunde können die Funktion eines solchen Spiegels übernehmen. Freunde, mit denen man aufgrund der Verbissenheit vielleicht schon gar nicht mehr reden kann. Weil man im wahrsten Sinne des Wortes den Mund nicht aufmacht. Freunde, die man als solche gar nicht erkennt, weil man verbissen der Meinung ist, man würde in ihren Augen nur als etwas gelten, wenn man die richtige Leistung erbringt.
Geradlinigkeit
Ein Ziel nicht aus den Augen zu lassen, beständig darauf zuzugehen, sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen und in sich fest zu ruhen, sind positive Eigenschaften von Ehrgeiz. Ein Weg geht sich allerdings leichter zu zweit oder in einer Gruppe. So kann der Wegbegleiter den Fokus auf das Schöne auf dem Weg zur Zielerreichung legen, zu Pausen raten, einem den Rucksack abnehmen, einen liebevoll ein wenig nach vorne schubsen, oder auch mal auf die Blume am Wegesrand aufmerksam machen. Manchmal ist der größte Freundschaftsdienst, dem Freund die Last nicht abzunehmen. Es ist schwer, das in der jeweiligen Situation zu erkennen.
Das kann nur geschehen, wenn man den Wegbegleiter als Partner auf Augenhöhe wahrnimmt. Mutiert der Wegbegleiter in den Augen des ehrgeizigen Wanderers zum Wasser- und Lastenträger, zum Kutschfahrer oder zum Diener, geht Vieles verloren. Freunde dienen einander in stummer Selbstverständlichkeit. Ein Freund kann der eigene Coach sein, der Provkateur der Fragen, derjenige, der einen zwingt, das zu tun, was man selbst kann, wenn man es zulässt. Ein Freund kann derjenige sein, der einem einen anderen Weg zeigt, der nicht immer genauso funktioniert, wie man es selbst gerne möchte und gerade deswegen wahrer Freund ist.
Gelassenheit
Auf meiner Suche nach Wortbedeutungen bin ich tatsächlich auf einer Yoga-Seite gelandet und musste schmunzeln. Ich bin kein gelassener Mensch und kenne Verbissenheit nur zu gut. Mein großes Glück ist, dass ich den Weg mit einer Person gehe, die so viel Stärke, Ruhe, Gelassenheit, Sanftmut walten lässt, dass etwas davon auf mich abfärbt. Langsam, sehr langsam, viel zu langsam, aber – ich glaube – manchmal schon erkennbar.
Als ich also recherchierte, fand ich folgende Zeilen:
"Es gibt zwei Grade der Gelassenheit:
Quelle: https://wiki.yoga-vidya.de/Gelassenheit
Gelassenheit ersten Grades ist es also, wenn mich die lärmenden Autos vor der Tür des Studios oder der Umbaulärm neben einem Seminarraum nicht mehr stören und ich dennoch meiner Tätigkeit nachgehen kann.
Gelassenheit zweiten Grades brauche ich jedes Mal, wenn etwas, was ich schon einmal geschafft habe, heute nicht funktioniert.
Ich arbeite an beiden Graden!
Akzeptanz
Es ist so unheimlich schwer, zu akzeptieren, dass es nicht immer so geht, wie man selbst will, dass sich so Vieles nicht berechnen und nicht planen lässt. Immer wieder gibt es Situationen, in denen man erkennen muss, dass man sich noch so sehr anstrengen kann und es dennoch nicht besser zu werden scheint. Doch der Schein trügt.
Und vielleicht sieht es ein Wegbegleiter ganz anders? Also heißt es manchmal, den Mund aufzumachen, den Beißkrampf aufzugeben und zu formulieren, wie es einem geht. Und wenn der Mund erst wieder offen ist, dann kann man vielleicht auch wieder lachen.
Selbstliebe und Mitgefühl
Sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist, mit all seinen Unzulänglichkeiten, unerreichten Zielen und scheinbar negativen Eigenschaften, ist schwer.
Es gilt dabei auch den Blick auf die Realität nicht zu verlieren, kein Narziss zu werden.
Mal scheint man von der einen, mal von der anderen Seite des Pferdes hinunterzufallen.
Aber es ist doch gerade das Unperfekte, was uns anzieht, was Attraktivität ausmacht.
Es ist mehr als anerkennenswert, wenn Menschen für ihre Ziele kämpfen. Sie müssen dabei nicht allein bleiben.
Lösen wir unsere verkrampften Kiefer, geben wir das, in was wir uns verbissen haben frei, lachen wir wieder. Vielleicht ist das Gegenüber ein toller Koch, der aus dem, in was man sich verbissen hat, etwas zubereiten kann, was nahrhaft für einen selbst ist.
Danke an die Menschen, die so gut für mich kochen!